Neuzugänge, Rückkehrer und ein Lorbeer für den WM-Kandidaten (1. Spieltag)
Wenn es im April 2026 darum gehen wird, die drei Abstiegsplätze zu vermeiden, könnten sich die beiden Punkte vom Samstag für den Deutschen Meister Düsseldorfer SK als Lebensversicherung erweisen. Gegen die nicht mit der allerersten Garnitur aufgelaufenen Bayern aus Deggendorf, mutmaßlich ein Mitkonkurrent im Kampf um den Klassenerhalt, nutzten die Rheinländer die Gelegenheit, die ersten beiden Punkte einzufahren.
Die beiden Topfavoriten aus Baden-Baden und Viernheim lassen die neue Saison personell gemächlich angehen. Zum Auftakt der stärksten Liga der Welt war an den Brettern ein Top-Ten-Spieler zu sehen, Vincent Keymer nämlich. Der musste sich mit jemandem auseinandersetzen, der gerade erst Weltmeister Gukesh besiegt hat. Der wiederum wird in dieser Saison nicht mit von der Partie sein, trotzdem weltmeisterte es an den Bundesligabrettern. Mit Volodar Murzin spielte der amtierende Rapid-Weltmeister, dazu eine Reihe von Exweltmeistern, allen voran Ruslan Ponomariov, der dank des Aufstiegs der ukrainischen Auswahl aus Wolfhagen wieder in der Bundesliga zu sehen ist. WM-Kandidat Matthias Blübaum besetzte erwartungsgemäß das erste Brett seiner Deizisauer Mannschaft.
Und dann war da noch ein 14-Jähriger, der aus einem einfachen Grund kein Weltmeister ist: Er ist zu gut, um Weltmeisterschaften seiner Altersklasse mitzuspielen. Zu den unzähligen Rekorden, die Wunderknabe Yagiz Kaan Erdogmus hält, kommt seit diesem Samstag ein weiterer: jüngster Spieler jemals am ersten Brett in der Schachbundesliga.
Saison 2025/26, der erste Spieltag:

Lidl-Tüten, Kabelsalat und ein stolzer Teamchef Sven Noppes: WM-Kandidat Matthias Blübaum vor seiner Auftaktpartie am ersten Brett der SF Deizisau in der Bundesligasaison 2025/26. | Foto: Marina Noppes
Eine klassische Schachpartie von Matthias Blübaum als WM-Kandidat hatte es bis zu diesem Tag nie gegeben. Da passte es trefflich, dem 28-Jährigen ein Präsent zu überreichen, das es nie gegeben hatte. Thomas Wiedmann, Geschäftsstellenleiter des Schachverbands Württemberg, überreichte dem Ostwestfalen in Deizisauer Diensten den goldenen Lorbeerkranz, eine Auszeichnung, die der Verband am Samstag erstmals vergab. Damit würdigte er die Verdienste Blübaums, den zweimaligen Europameistertitel und "weitere hervorragende Erfolge" nämlich. Blübaum bekam einen Kranz zum Anstecken, in der Bedeutung noch höher einzuschätzen als eine Ehrennadel, betonte Wiedmann.
Hätte Matthias Blübaum nach diesem Schachverwaltungsakt doch mit seinem Lorbeer heimfahren können. Oder ins Hotel gehen, um für die Sonntagsrunde fit zu sein. Stattdessen musste er Schach spielen, und es offenbarte sich bald, das ihm die elf Runden vom hervorragenden Erfolg in Samarkand noch in den Neuronen steckten. Am ersten Brett kam Blübaum gegen den Bremer Neuzugang Haik Martirosyan arg unter die Räder, und die Deizisauer liefen bald einem 0:1-Rückstand hinterher.

Nachdem Nikolas Wachinger (gegen Rustem Dautov) und Alexander Graf (gegen Spartak Grigorian) gewonnen hatten, stand es 4:3 für Bremen, und es war nur noch ein Deizisauer, der dem Rückstand nachlief. Tamas Banusz erfreute sich im Endspiel gegen Vlastimil Babula des kleinen Vorteils von Dame plus Springer, prächtig koordiniert und zentralisiert, versus Dame und Läufer. Diese Konstellation erforderte fast sechsstündige Knetarbeit, aber Banusz gelang es schließlich, den Württembergern in einem der ersten Spitzenmatches der Saison den Punkt zu retten.

Wer vor dem Match der Dresdner Bundesliga-Dauerbrenner gegen den Aufsteiger aus Wolfhagen das Liga-Orakel befragte, bekam eindeutige Kräfteverhältnisse veranschaulicht. Die Dresdner sieht das Orakel mit einer Wahrscheinlichkeit von gut 50 Prozent als Absteiger, die Wolfhagener als Spitzenteam mit einer 0,8-prozentigen Chance, Meister zu werden. Das Ergebnis des Vergleichs bekräftige diese Einschätzung.

Wolfhagen geht freilich nicht mit einer Auswahl von Spielern aus dem Landkreis Kassel an die Bretter in der stärksten Liga der Welt, sondern mit einer ukrainischen, die fast eine Nationalmannschaft sein könnte. Das hängt mit den Verbindungen von Teamchef Josef Resch in die westukrainische Stadt Mukatschewo zusammen, wo er eine Schachschule betreibt. Sogar mit acht Ukrainern traten die Wolfhagener am Samstag an, auch wenn eine blau-gelbe Flagge hinter den Spielernamen schwedisch aussieht. Großmeister Platon Galperin ist Ukrainer, spielt aber für den schwedischen Verband.

Das Match begann gut für die Dresdner. Roven Vogel hatte am dritten Brett Yuriy Kryvoruchko schon ausgangs einer missratenen Eröffnung eingeschnürt und sollte im weiteren Verlauf keine Luft mehr reinlassen. Aber das war nur der Ehrensieg für die Dresdner, denen darüber hinaus drei Punkteteilungen gelangen. Exweltmeister Ruslan Ponomariov, Yuriy Kuzubov, Vladimir Baklan und Platon Galperin stellten den Kantersieg des Aufsteigers sicher.


D'dorf gegen D'dorf. Sollte der deutsche Meister nach seinem personellen Umbruch mit einer Niederlage in die neue Saison starten? Ein Novum wäre das nicht, auch Viernheim begann die Serie 2024/25 mit einer Schlappe in Hamburg und lief den verlorenen Punkten fortan vergeblich hinterher. "Das sieht nicht gut aus", twitterte Düsseldorfs Teamchef Jan Werner nach der Zeitnotphase und fügte noch ein weinendes Emoji hinzu.

Zwar haben die Düsseldorfer ihre Inder und die 2700er gleich im Dutzend verloren, aber sie haben immerhin einen Weltmeister in ihrem Kader. Volodar Murzin hat eine schlimme Kindheit hinter sich und lebt in einer schwierigen Gegenwart. Der 19-Jährige stellt sich offen gegen die Führung des kremltreuen russischen Verbands und weigert sich, unter dessen Flagge zu spielen, was daheim nicht ohne Folgen bleibt. Trotzdem untermauerte er seinen Status als größtes Talent der ehemaligen Schach-Großmacht Ende 2024 mit seinem Sieg bei der Rapid-WM vor der versammelten Weltelite.

Nun spielt er zum ersten Mal Bundesliga. Mit einem feinen technischen Sieg am ersten Brett über Sankalp Gupta führte Murzin sich ein, ein Baustein der zwischenzeitlichen 3:2-Führung der Düsseldorfer, die aber arg wackelig erschien. Casper Schoppen strauchelte früh, nachdem sich ein taktisches Loch in seinen Berechnungen offenbart hatte, und schien gegen Martin Petrov einer Null entgegenzusegeln. Auch um Felix Levin stand es nicht gut, und Gewinnchancen für Youngster Philipp Leon Klaska am achten Brett waren nicht zu sehen.

Zwei dieser Partien liefen gegen die Bayern und für die Rheinländer. Petrov kam nicht durch, Schoppen hielt, und schließlich war es Klaska, der im Endspiel erst das Kommando übernahm und seinen Vorteil schließlich nach und nach zum vollen Punkt verdichtete.


Welche Partie als erste remis enden würde, war nicht schwierig zu prognostizieren. HSK-Gewächs und -Rückkehrer Jan Gustafsson führte sich mit einem soliden 21-zügigen Schwarzremis in seiner neuen alten Mannschaft ein. Aber angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten auf den anderen sieben Brettern offenbarte sich bald, dass das ein halber Punkt zu wenig gewesen sein könnte. Wäre nicht, zum Leidwesen von Martin Krämer, Rasmus Svane so ein exzellenter Schwindler, das Match hätte für die Gäste aus dem Norden früh vorbei sein können.

Nach Siegen von Lukas Winterberg und Martin Nayhebaver führte Heimbach 3,5:2,5. Aus Hamburger Sicht war die Marschroute nun klar: Niklas Huschenbeth muss sein etwas schlechteres Endspiel gegen Jakub Kosakowski halten, Frederik Svane sein etwas besseres gegen Leon Livaic gewinnen. Ersteres gelang, Letzteres nicht. Die Stellung war verrammelt, und Livaic stellte sicher dass das so bleibt.

Die Macher in Baden-Baden werden die Ansage aus St. Pauli zur Kenntnis genommen haben: "In drei Jahren Meister werden." Aber bis dahin sind ja noch zwei Meistertitel zu vergeben. Der bei seiner anderen Mannschaft in Deizisau weilende Teamchef Sven Noppes hatte vor dem Saisonauftakt klargestellt, dass er und seine Mannen sich nach dem Viernheimer und dem Düsseldorfer Intermezzo 2024 und 2025 nun an der Reihe fühlen, den Ende April 2026 zu vergebenen Titel einzuheimsen. Der erste Schritt dahin sollte über die Möchtegernmeister aus St. Pauli führen.

Die hatten inklusive mehrerer Neuzugänge durchaus veritabel aufgestellt. Am ersten Brett Gukeshbesieger (neulich beim Grand Swiss) Nikolas Theodorou, am zweiten den dänischen Vincent Keymer Jonas Buhl Bjerre, am dritten den ehemaligen Juniorenweltmeister Marc'Andria Maurizzi, am vierten nicht den besten, aber immerhin den zweitbesten Norweger Elham Amar, dahinter Schlachtross Bartosz Socko oder den von Solingen auf den Kiez rochierten Dänen Mads Andersen.

Nachdem am sechsten Brett Radoslaw Wojtaszek und Jesper Sondergaard schnell Feierabend gemacht hatten, geriet auf Hamburger Seite ausgerechnet der Kapitän ins Straucheln. Ein Gaul von Benedict Krause hatte sich auf ein Feld vergaloppiert, das eindeutig Alexander Donchenko gehörte. Der stellte das in seiner Bretthälfte verirrte Pferd sogleich in den Stall, und Baden-Baden führte 1,5:0,5. Auf deren Seite spielte außerdem noch Neuzugang Javokhir Sindarov. Der Liga-Topscorer 2024/25 machte zum Einstand in Baden-Baden weiter, wo er vergangene Saison in Düsseldorf aufgehört hat. Mit vollen Punkten.

Wie Maurizzi unter Bauernopfer Richard Rapport ansprang, war couragiert. Hätten die Hamburger diese Partie an sich gezogen, es wäre trotz Krauses Malheur sehr knapp geworden. Aber Rapport gelang es dank einer findigen Abwicklung, die Damen vom Brett zu nehmen, und danach war von Maurizzis Kompensation nicht mehr viel übrig. Letztlich entschied Rapports Mehrbauer die Partie.

Und so war es nur der Ehrensieg für St. Pauli, den Elham Amar gegen Nikita Vitiugov einfuhr. Die englische Nummer eins hatte eine Qualität zurückgewinnen wollen, aber die Kraft der Königsattacke unterschätzt, in die er sogleich geraten sollte.

1:1 zwischen Schweden und Deutschland an den Brettern sieben und acht: Alexander Naumann besiegte Linus Johansson, während dessen Landsmann Philip Lindgren gegen Jörg Wegerle den vollen Punkt holte. Ansonsten: sechs Punkteteilungen.

Ereignisarm also? Nein. Solingens Teamchef Oliver Kniest hatte vor dem Match gegenüber der Lokalpresse mit der Geschichte vom "Klassenerhalt" tiefgestapelt, aber die Solinger haben nach diesem Saisonauftakt einigen Anlass, einem verlorenen Punkt nachzutrauern. Insbesondere zwei Leute werden sich ärgern.

Pentala Harikrishna hatte am ersten Brett den Bayern-Neuzugang und einstigen WM-Kandidaten Kirill Alekseenko am Haken, aber als der Zeitpunkt gekommen war, den Punkt einzuholen, riss die Leine. Die zweite Chance, den Mannschaftssieg sicherzustellen, hatte beim Stand von 3,5:3,5 Jan Smeets gegen Joseph Girel in einem Endspiel, in dem Smeets seinen Vorteil bis zu einer Gewinnstellung vergrößert hatte. Die Gewinnabwicklung allerdings mag für eine Maschine leicht zu sehen sein, für einen Menschen bei Zug 58 einer harten Turnierpartie eher nicht.
Smeets verpasste die Chance, Girel rettete sich in ein Remis und den Bayern ein 4:4.

"Eine Niederlage wäre eine Katastrophe", hatte Kirchweyhes Zeremonienmeister Peter Orantek vor dem Match gesagt und als Ziel ausgegeben, den Klassenerhalt diesmal nicht erst ganz zum Schluss in einer Zitterpartie zu sichern. Gegen die Münchner, laut Liga-Orakel neben den SF Berlin erster Abstiegskandidat, sollte ein Sieg her.

Der gelang. Zu sieben Punkteteilungen kam ein Sieg des bosnischen IM Sanjin Culum über Frank Zeller. Der hatte erst vergeblich versucht einen Angriff aufzuziehen, dann eine Zugwiederholung nicht bekommen und landete schließlich in einem unschönen Endspiel, das der Bosnier sicher für sich entschied.
Ein 14-Jähriger am ersten Brett in der Bundesliga? Ja, aber nicht irgendeiner. Yağız Kaan Erdoğmuş führt seit Jahren in jeder Altersklasse mit Abstand die Weltrangliste an, ist der jüngste 2600er jemals und hat neulich beim Grand Swiss im Konzert der Großen prächtig mitgespielt. Nun hat er (vermutlich, in Ermangelung valider Statistiken) einen weiteren Rekord aufgestellt: jüngster Spieler jemals am ersten Brett in der Schachbundesliga.

Der Junge habe so viel Selbstvertrauen, es mache ihn nicht nervös seine Mannschaft anzuführen, erklärte im Stream des SC Viernheim der kommentierende Großmeister Ilja Zaragatski - fügte aber wenig später hinzu, dass er womöglich eine Einheit in Sachen Zeitmanagement mit dem Ausnahmetalent einlegen muss. Auf dem Brett war es okay, zeitweise nahe am Sieg, auf der Uhr war es kritisch.

Umgekehrt bei Neuzugang Jorden van Foreest: Auf der Uhr war es okay, auf dem Brett oje. Aber so wie am ersten Brett Maxim Vavulin gegen Erdogmus hielt, rettete sich van Foreest mit der Klasse eines Wijk-an-Zee-Siegers und einiger Hilfe von Jan Klimkowski in die Punkteteilung.

Die drei vollen Punkte im nominell ungleichen Duell zwischen Aufsteiger und Vizemeister machten Dennis Wagner nach einem taktischen Handgemenge, Bassem Amin in souveräner Manier und Alexey Sarana ebenso.