Costa am „spannendsten Brett“: Gerald Hertneck über die Saison 2025/26
Gerald Hertneck ist seit vier Jahrzehnten eine feste Größe im deutschen Schach. Der frühere Nationalspieler und Top-50-Großmeister, der schon für alle Münchner Topvereine in der Bundesliga gespielt hat, geht mit der Münchner Schachakademie (MSA) Zugzwang in die neue Saison im Oberhaus. Erstmals kann dabei sein Klub acht Großmeister aufbieten. Hartmut Metz unterhielt sich mit dem 61-jährigen Routinier über die Bundesliga, den talentierten 17-jährigen Neuzugang Leonardo Costa an Brett zwei und den Lokalrivalen FC Bayern München. Das Gespräch wurde vor dem Saisonauftakt geführt.

Wenn die acht Männer um Gerald Hertneck in der Bundesliga gegen ein Spitzenteam wie Viernheim antreten, dann sitzen auf der anderen Seite unter anderem die Wagners, der beste Spieler des afrikanischen Kontinents, der beste Spieler des Iran und der beste Spieler Polens. Gerald Hertneck hält das für einen "Overkill", mit dem er sich nicht anfreunden mag. | Foto: Stefan Spiegel/SC Viernheim
Herr Hertneck, die letzte glorreiche Münchner Zeit liegt schon lange zurück: In den 80er- und 90er-Jahren war der FC Bayern München mit Ihnen als Spieler in der Bundesliga dominant. Kann ein Münchner Verein einmal daran anknüpfen und Meister werden?
Hertneck: Damals waren alle Spieler jung und hungrig, und es war quasi ein Selbstläufer. Heutzutage sind diejenigen, die noch dabei sind, so wie Stefan Kindermann und ich ältere Herren mit begrenzten Ambitionen. Allerdings haben wir ja auch die jungen Österreicher in der Mannschaft, die ganz anders drauf sind. Die Bundesliga hat sich inzwischen in der Struktur so weit verändert, dass man nur noch mit einem Mix von ganz starken Großmeistern auf den Titel spielen kann.
Mit der Münchner Schachakademie (MSA) Zugzwang sind Sie in die Bundesliga zurückgekehrt. Kann die Fahrstuhlfahrt zwischen Oberhaus und zweite Liga diesmal gestoppt werden? Erstmals kann Ihr Klub alle acht Bretter durchweg mit Großmeistern besetzen. Welchen Platz unter den 16 Teams geben Sie als Ziel aus?
Platz zwölf und damit der Klassenerhalt wäre wünschenswert und auch möglich. Ich bin übrigens sehr stolz darauf, dass wir erstmals mit acht Großmeistern antreten können.
„Leonardo Costa bleibt knapp unter 50 Prozent“

Mit Leonardo Costa hat Ihr Klub ein Münchner Talent mit einem Spitzenbrett angelockt. Was trauen Sie dem 17-Jährigen in der Bundesliga gegen die Asse vorne zu?
Das ist für mich das spannendste Brett in unserer Mannschaft. Wird unser jüngster Spieler am zweiten Brett der stärksten Liga der Welt standhalten? Ich sage mal, er wird etwas unter 50 Prozent bleiben, denn die Konkurrenz ist einfach zu stark!
Ja, das stimmt, er hat es dort mit zahlreichen Weltklassespielern zu tun. Costa erhielt vom Deutschen Schachbund eine besondere Förderung. Zudem trainiert neuerdings MSA-Topmann Pawel Eljanow das Talent. Was trauen Sie Costa langfristig zu? Kann er zusammen mit dem Baden-Badener Bundesligaspieler Vincent Keymer in die absolute Weltspitze gelangen?
Ich scheue mich vor solchen Prognosen. Wenn ein Spieler noch in der Entwicklung ist, dann weiß man ja nicht, wo sie enden wird. Oder anders gefragt: Wie viel Talent ist in der Entwicklung noch übrig? Ich würde mal so sagen: Er kann auf jeden Fall den Sprung über 2600 schaffen, und ich hoffe, dass er auch in die Nationalmannschaft kommt. Ob es dann noch weitergeht, kann ich nicht sagen.
„Mir hat ganz viel gefehlt“ für die absolute Weltklasse
Sie selbst standen einst in den Top 50 der Welt mit über 2600 Elo. Was hat Ihnen damals gefehlt, um noch weiter vorzustoßen?
Ganz viel. Der Fleiß, die Disziplin, und auch ein breiteres Eröffnungsrepertoire. Ich hätte noch mehr an meinem Schach arbeiten müssen. Im Grunde hatte ich auch nie einen Trainer, denn das waren damals andere Zeiten.
Costa hat diese Fähigkeiten?
Ich glaube jedenfalls mehr als ich! Er trainiert auch sehr viel, vielleicht ist das der wesentliche Unterschied. Allerdings stand ich damals ja auch schon im Berufsleben und war zehn Jahre älter. Im Grunde ist das Ganze überhaupt nicht vergleichbar.
Wehmütiger Blick zurück
Ist es nicht für Sie und Stefan Kindermann inzwischen auch deprimierend, das achte Rad am Wagen in der Mannschaft zu sein? Oder findet man sich mit der Zeit damit ab, dass man deutlich schlechter spielt als früher und gegen Gegner verliert, die man früher buchstäblich blind geschlagen hätte?
Ein bisschen schon. Wehmütig blickt man auf vergangene Zeiten! Auch die Energie ist nicht mehr die, die sie mal war. Man merkt das Alter und muss sich noch mehr anstrengen. Wer weiß, wie lange man das noch durchziehen kann, also wie lange Zugzwang unter meiner Führung noch Bundesliga spielt.

„Overkill“ an der Bundesliga-Spitze
Wer wird Meister? Die Leistungsdichte an der Spitze ist inzwischen ja enorm. Titelverteidiger Düsseldorf hatte in der vergangenen Saison die Möglichkeit, selbst am achten Brett noch ein Ass mit über 2700 Elo aufzubieten! Allerdings schraubt Sponsor Wadim Rosenstein sein Engagement deutlich zurück.
Ist das nicht das alte Spiel? Baden-Baden oder Viernheim. Mit dem „Overkill“, den diese beiden Mannschaften aufbieten, kann ich mich nach wie vor nicht anfreunden. Leider ist mein Antrag auf Beschränkung von Nicht-EU-Ausländern auf dem DSB-Kongress in Paderborn gescheitert. Beim Deutschen Schachbund ist einfach kein Verständnis für das Thema da.
Gut, sicher ist nur, dass der Meister nicht, noch nicht, aus München kommt. Daher die wichtige Frage für die Stadt: Landet der FC Bayern vor MSA Zugzwang oder umgekehrt?
Nach Elo ist ganz klar der FC Bayern favorisiert, daran gibt es nichts zu deuteln. Ich traue dem FC Bayern Platz sieben in der Endabrechnung zu.
Der FCB trifft in Deggendorf am Samstag und Sonntag auf Solingen und Düsseldorf? MSA trifft in Deizisau auf Kirchweyhe und Werder Bremen? Wie viele Punkte erwarten Sie für die den Münchner Klubs zum Saisonstart?
Ich hoffe auf vier von acht Punkten – ohne mich aber auf die Verteilung festzulegen.
Gutes Verhältnis mit dem FC Bayern München
Eine gewisse Stadt-Rivalität ist natürlich da zwischen Ihren Klubs: Aber insgesamt wirkt das Verhältnis beider Schach-Bundesligisten – anders als im Fußball, wo kein Bayern-Fan viel auf 1860 München gibt und umgekehrt – gut, ja beinahe freundschaftlich. Beide Vereine schauen zusammen, dass die Heimspiele zu Münchner Schach-Events werden.
Hertneck: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zum Vorsitzenden Jörg Wengler und zu seinem langjährigen Vorgänger Günther Schütz. Am sympathischsten ist mir übrigens die zweite Mannschaft vom FC Bayern, da man dort auf viele alte Freunde trifft. Die sind aber leider in die dritte Liga abgestiegen. Vielleicht steigen sie ja wieder auf, und wir wieder ab - und dann treffen wir uns wieder!