Die Bahn, die Bauern und die Bundesliga (5.Spieltag)
Am vergangenen Doppelspieltag war es das Wetter, das die Benutzung des Verkehrsmittels Flugzeug für alle Beteiligten zu einer heiklen Angelegenheit machte. An diesem Spieltag war es der Bahnstreik, der das Verkehrsmittel Bahn beeinträchtigte. In Ermangelung von Flugzeugen, die Bundesligaspiellokale direkt anfliegen, verlegten sich die meisten Teams auf das Verkehrsmittel Auto für die An- und Weiterreise. Aber da waren ja noch die Bauernproteste, die freie Fahrt auf allen Strecken zumindest infrage stellten. Noch dazu begann das Turnier in Wijk an Zee mit zahlreichen Bundesligaspielern. Und so standen die Verantwortlichen der Bundesligisten einmal mehr vor der Herausforderung, 128 Schachmeister an vier Spielorten rechtzeitig an die Bretter zu bringen.
Die einen (Hamburg) planten kurzfristig personell um, die anderen (Viernheim) nahmen ein Extra-Auto mit auf die Reise, um im Zweifel neu disponieren zu können. Am Samstagnachmittag waren dann tatsächlich alle Teams komplett. Und lieferten einen Spieltag weitgehend ohne Überraschungen ab. Dresden war drauf und dran, Solingen zu besiegen und knöpfte den Favoriten immerhin einen Punkt ab. Die Münchner Schachakademie machte den Baden-Badenern das Leben deutlich schwerer, als sie erwartet hatten. Und wer hätte gedacht, dass Werder Bremen an den ersten vier Brettern 4:0 gegen Hamburg gewinnt?
In der Tabelle ist aus dem Trio der verlustpunktfrei Führenden ein Duo geworden. Der SC Viernheim und die SF Deizisau marschieren vorneweg, einen Punkt dahinter Titelverteidiger Baden-Baden und Kirchweyhe. Am anderen Ende der Tabelle steht das Quartett Hamburg, Kiel, Remagen und Hannover mit einem Punkt aus fünf Matches unter Erfolgsdruck. Der erste Nichtabstiegsplatz ist für diese Vier schon zwei Punkte entfernt.
Die SG Solingen trägt ihre Heimspiele im städtischen Kunstmuseum aus. | Foto: Oliver Kniest
Ohne Großmeisterlegende Predrag Nikolic hätten die favorisierten Solinger beim Heimspiel gegen Dresden nicht einmal den einen Punkt gerettet. Zwar unterlag Nikolic als einziger Solinger, aber sein Chauffeurservice vom Flughafen zum Spiellokal hatte sichergestellt, dass die Mannen aus der Klingenstadt vollzählig antraten – inklusive Ligachef Markus Schäfer.
Während sich das Geschehen an allen anderen Brettern die Waage hielt, stand bald die Prognose im Raum, dass der weiterhin in der 2023er-Galaform spielende Neu-GM Roven Vogel für Dresden der Matchwinner sein würde. Kaum widerstehlich rollte Vogels Bauernwalze auf Nikolics gedrückte Formation zu - und brach durch.
Am Ende gelang es Alexander Krastev am achten Brett, den Solinger Punkt zu retten. Der U16-Europameister von 2021 gewann ein schwieriges Endspiel gegen den Sachsenmeister 2023 Ruben Lutz.
Den stärksten Mann der Mülheimer hatten die Hannoveraner schnell aus dem Match genommen. 28 Züge waren gespielt, da bot der nominell haushoch favorisierte David Navara gegen Jakob Pfreundt remis, wahrscheinlich, um Schlimmeres zu vermeiden. Viel mehr gab es für Hannover allerdings nicht zu holen.
An einem für den Kampf um den Klassenerhalt wichtigen Wochenende mit zwei Matches gegen potenzielle Kellerkinder hatten die Mülheimer vergleichsweise stark aufgestellt, unter anderem ihre tschechische Doppelspitze Navara und Thai Dai Van Nguyen, Nummer eins und zwei der tschechischen Rangliste. Womöglich wollten sie noch stärker aufstellen, aber wie anderen Bundesligisten machte das Festival in Wijk an Zee auch den Mülheimern einen Strich durch die Rechnung: Daniel Dardha und Liam Vrolijk, Nummer drei und sechs, spielten an der holländischen Nordseeküste.
Es reichte auch so. Daniel Fridman und Nguyen eröffneten den Reigen, und dann wurde die Führung immer höher. Zum Schluss versuchte noch Thomas Beerdsen, in diesem Jahr nicht in Wijk aktiv, mit zwei Leichtfiguren gegen Turm bei jeweils zwei Bauern an einem Flügel zu gewinnen. Das blieb ihm verwehrt.
Ein Galatag an den oberen vier Brettern bescherte den Bremern einen Sieg im prestigeträchtigen Nordduell. Dass die Hamburger die unteren vier Bretter 3:1 gewannen, gestaltete nur das Endergebnis erträglich.
Mit einem Zähler aus fünf Matches finden sich die Schachmeister des Bundesligadinosauriers aus Hamburg nun auf einem Abstiegsrang wieder. Kurios – und ein Indiz für bislang nicht abgerufenes Potenzial: Ihren einzigen Punkt haben die Hamburger gegen Titelverteidiger Baden-Baden erzielt.
Nun hat es das Überraschungsteam aus Kirchweyhe doch erwischt. Gegen Kiel gaben die Mannen aus dem Bremer Umland den erste Punkt ab – ausgerechnet. Den Kielern waren in den ersten vier Matches zwar einige knappe Kämpfe gelungen, aber kein Punktgewinn. Mit einem Zähler stehen sie weiter unten drin.
Matchwinner gab es hüben wie drüben nicht. Alle acht Partien des Vergleichs endeten nach teils mehr, teils weniger wechselhaftem Verlauf unentschieden.
Wären Riesen wie Nodirbek Abdusattorov, Parham Maghsoodloo und Anton Korobov verhindert, das würde jeder Bundesligamannschaft einen argen Schlag versetzen. Nicht den Viernheimern. Trotz des in Wijk spielenden Elitetrios festigten sie mit einem weiteren Kantersieg ihre Tabellenführung.
Vier Unentschieden gelangen den Gastgebern, viermal triumphierten die Gäste, die nun weiter mit weißer Weste und 29,5 Brettpunkten die Tabelle anführen. Aufsteiger Heimbach holte zwar keine Bonuspunkte gegen den Abstieg, steht aber mit vier Zählern weiterhin über dem Strich.
Aus den beiden Partien, die sehr früh sehr günstig für Deizisau aussahen, holte Remagen 1,5 Punkte. Vojtech Plats früher Königsausflug gegen Dmitrij Kollars blieb ungeahndet, und Twan Burg hielt ein Endspiel gegen Jan Gustafsson, der angesichts seiner Aktivität und der zerdepperten gegnerischen Struktur ausgangs der Eröffnung seine Friedfertigkeit abgelegt hatte.
Abseits dieser unerwarteten 1,5 Punkte sprang nur ein weiterer halber heraus, da die Deizisauer an diesem Tag an den unteren Brettern gar nichts anbrennen ließen. 4:0 gewannen sie an Brett vier bis acht. Mit 10:0 ist Deizisau bislang die einzige Mannschaft, die mit Viernheim Schritt hält.
Gerade so, am seidenen Faden und ein wenig glücklich. Aber danach fragt ja hinterher niemand. Der ersehnte Sieg über die Bayern ist Aufsteiger Ötigheim zwar nicht gelungen, aber immerhin ein Punkt aus einem lange umkämpften, knappen Match, in dem eher die Gäste aus der bayerischen Landeshauptstadt am Drücker gewesen waren.
Erst sah es aus, als würde Valentin Dragnev zum Münchner Matchwinner. Kurz vor der Zeitkontrolle hatte Dragnev eine Qualität erobert, aber Christian Bauer blieb in der Partie und fand schließlich zum Unentschieden führende Kompensation. Dann schickte sich Linus Johansson an, sein Endspiel mit Mehrbauer zu gewinnen und damit den Münchner Mannschaftssieg sicherzustellen.
Am Ende war Neuzugang Marco Riehle auf Ötigheimer Seite der Held des Tages. Nach zwei Niederlagen in seinen bisherigen Einsätzen gelang Riehle beim Stand von 3,5:3,5 gegen den FC Bayern der entscheidende halbe Punkt, sein erster in der Schachbundesliga.
Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass beide mit dem Unentschieden leben können. Als Tabellenfünfter und -sechster mit jeweils sieben Punkten haben sich die Ötigheimer und die Münchner sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge erkämpft.
Einen Gewinner des Tages haben die Ötigheimer auch. Der allerdings war am Match gegen die Bayern nicht beteiligt. Die FIDE teilte während des fünften Spieltags mit, dass Magnus Carlsen jetzt offiziell vom Kandidatenturnier 2024 zurückgezogen hat. Damit steht fest, Ötigheims Nummer eins Nijat Abasov wird im April bei der Kür des WM-Herausforderers mit von der Partie sein.
Überaus wacker schlugen sich die Münchner gegen den nominell übermächtigen Serienmeister. Und hätte der seit kurzem unter österreichischer Flagge spielende Ukrainer Valentin Baidetskyi gegen den seit kurzem unter englischer Flagge spielenden Russen Nikita Vitiugov seinen Vorteil verwertet, wer weiß, vielleicht wäre ein Punkt drin gewesen.
So haben die Münchner Routiniers um den selbsternannten Altgroßmeister Gerald Hertneck Anlass, stolz auf eine starke Leistung zu sein, aber zwei Niederlagen am siebten und achten Brett stellten sicher, dass die Punkte nach Baden-Baden gehen, obwohl dem Serienmeister der in Wijk weilende Alexander Donchenko fehlte. Die Baden-Badener Tagessieger Arkadij Naiditsch und Sergei Movsesian stehen gemeinschaftlich bei 5,5 Punkten auch 6 Partien in der Saison 2023/24.