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Der FC St. Pauli, seine Rabauken und die Magnus-Variante

Jetzt geht's los - mit AC/DC und deren Hymne "Hells Bells". Der FC St. Pauli dürfte, im Schach zumindest, der einzige Bundesligist sein, bei dem alle Anwesenden erstmal ordentlich auf die Ohren bekommen, bevor die beim Denksport übliche Ruhe einkehrt. Eine andere Einmaligkeit wird sich gelegentlich am ersten Brett materialisieren. Nakamura hin, Gukesh her, Magnus Carlsen ist im Schach die größte Hausnummer. Die mit einer solchen Verpflichtung einhergehende Aufmerksamkeit hat sich durch die Verbindung des 17-fachen Weltmeisters mit einem außergewöhnlichen Club noch verstärkt. 

Im großen Bundesligagespräch berichten IM Benedict Krause und Oliver von Wersch, wie es in den Wochen nach dem Aufstieg am Millerntor zur "Magnus-Variante" kam, die eben nicht nur aus dem Weltranglistenersten bestehen konnte, sondern aus einem gewichtigen Elopaket, das die erste Mannschaft des FC St. Pauli in der Bundesliga sportlich konkurrenzfähig macht. Trotz der Elopower an den ersten Brettern geben sich von Wersch und Krause bescheiden. Mit dem Saisonstart gilt auf St. Pauli das Ziel Klassenerhalt.  

Oliver von Wersch (links) wirkt als Verbindungsmann der Schachabteilung des FC St. Pauli zum Gesamtverein mit seinen Profi-Strukturen. IM Benedict Krause (rechts) möchte am Brett dazu beitragen, dass der Kiez-Club die Klasse hält, sodass die Aufsteiger 2023/24 auch in kommenden Jahren Bundesliga spielen können. | Fotos: Frank Müller, Raimar von Wienskowski, FIDE

Benedict, Oliver, Glückwunsch zum Aufstieg. Ziel erreicht?

Krause: Am Ende ja, aber wir waren nicht mit dem Ziel Aufstieg in die Zweitligasaison gestartet. Natürlich haben wir eine gute Mannschaft, aber diesmal waren zum Beispiel die Schachfreunde Berlin das nominell stärkere Team in einer ausgeglichenen Liga. Zentral war das Wochenende, an dem wir gegen Lübeck und Kiel II gespielt haben. Nach zwei Siegen gegen diese beiden war der Klassenerhalt besiegelt, und wir hatten es in der Hand, Erster zu werden. Da war klar, jetzt wollen wir aufsteigen.

Von Wersch: Am letzten Spieltag gab es den „Showdown in Rüdersdorf“, so hieß auch unser Live-Ticker im Signal-Messenger. In unserer Gruppe dort haben 80 Mitglieder mitgefiebert.

Von Weissenhaus und Magnus Carlsen war da noch keine Rede. Wie ist das entstanden?

Von Wersch: Im März beim Hamburger Zweitligaderby kam Sebastian Siebrecht mit Evi Zickelbein zu Besuch. Nachdem wir im Live-Stream ein Interview gemacht hatten, fragte mich Sebastian, ob wir schon Pläne haben, sollte der Aufstieg gelingen. Bei der Gelegenheit fiel zum ersten Mal der Begriff „Weissenhaus“ in Verbindung mit St. Pauli, aber das war noch vage. Wir hatten da gerade den Klassenerhalt sicher. Danach meldete ich mich in den folgenden Wochen immer wieder bei Sebastian, und als dann der Aufstieg geschafft war, konkretisierte sich eine Zusammenarbeit mit der Weissenhaus-Akademie und Jan Henric Buettner. Wie die aussehen könnte, dazu gab es verschiedene Ideen und Modelle. Das Sponsoring war dank Jan Henric Buettners St.-Pauli-Affinität recht schnell verabredet. Aber es stand noch die Magnus-Variante im Raum, und die würde nur Sinn ergeben, wenn wir uns über Magnus hinaus verstärken. Dieses Thema hat uns im Mai beschäftigt – mit der schönen Koinzidenz, dass in jenen Wochen auch unsere Fußballer in die Bundesliga aufgestiegen sind. Ich habe dann immer Sebastian, Magnus, und Jan Henric mit St.-Pauli-Content aus dem Stadion versorgt, um auf der Carlsen-Buettner-Seite Extra-Begeisterung für St. Pauli zu erzeugen. Schließlich kam eines zum anderen.

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Die Begeisterung für den Fußball auf St. Pauli 2024/25 hat sich auf die Schachabteilung übertragen - und umgekehrt.

 

Und die Stamm-Mannschaft? Ihr habt den Aufstieg geschafft, wollt wahrscheinlich spielen, aber jetzt müsst ihr euch die Bretter mit sieben Legionären teilen.

Krause: Jeder möchte immer spielen, ganz klar. Aber bei uns haben alle den Verein als Ganzes und die sportliche Perspektive im Auge. Insofern sind wir aus der Aufstiegsmannschaft uns einig, dass wir primär die Klasse halten wollen. Wenn wir das schaffen, können wir auch in kommenden Jahren Bundesliga spielen. Die Debatten darüber im Mannschaftskreis liefen stets konstruktiv. Oliver hat ja schon angedeutet, es war ein Prozess über Wochen, in dem unser Bundesligaprojekt entstanden ist. Diesen Prozess haben wir als Mannschaft begleitet. Am Ende stand eine Lösung, mit der alle einverstanden sind.

Von Wersch: Wir haben viel diskutiert, hatten diverse Videocalls. Aus Sicht des Vereins war immer wichtig, dass wir die ganze Mannschaft mitnehmen, alle Optionen in der Gruppe erörtern. Allen war klar, dass wir Extra-Elo-Power brauchen, um die Klasse zu halten. Wir haben jetzt eine Truppe, mit der wir sportlich unser Ziel erreichen können und die zugleich gut ausbalanciert ist, für St. Pauli ein wichtiger Faktor.

Wie sieht es auf der Finanzierungsseite mit der Balance aus?

Von Wersch: Die ist extrem wichtig. Mit SBR-net Consulting haben wir einen zweiten Sponsor, der unser Projekt spannend findet und sich gerne einbringt. Es wird noch ein dritter und vierter Sponsor dazukommen. Außerdem bekommen wir Gelder aus dem Verein für die Reisekosten. Wir wollen finanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit schaffen, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass wir einen Sponsor verlieren oder ein Vertrag nicht verlängert wird. Mit Weissenhaus zum Beispiel haben wir uns erstmal auf drei Jahre verständigt. Auf keinen Fall soll unser Bundesligaprojekt von einem Mäzen abhängig sein, wie es bei anderen Bundesligisten der Fall ist. Auch bei den Spielern planen wir längerfristig. Gegenüber allen Neuzugängen haben wir kommuniziert, dass sie auf Dauer Teil des Ganzen sein sollen.

Auf der einen Seite Buettner und Carlsen, auf der anderen eure Spendenkampagne: „Bitte helft uns mit 10 Euro.“ Wie passt das zusammen?

Von Wersch: Das ist Teil der Balance und Nachhaltigkeit. Wir setzen auf mehrere Finanzierungsquellen. Spenden sind eine Quelle, Sponsoren eine andere. Und wir haben ja auch noch Unterstützer aus dem St.-Pauli-Umfeld, die im Hintergrund agieren. Auch Jan Henric Buettner ist ein ganz normaler Sponsor, der sich entschieden hat, noch etwas über das normale Sponsoring-Paket hinaus zu machen, weil er in der daraus resultierenden Medienpräsenz einen Gegenwert sieht. Aber es ist weit davon entfernt, dass er hier alles finanziert. Wir müssen auf mehreren Beinen stehen, einen reinen „Mäzenatenansatz“ wollen wir nicht. Das ginge beim FC St. Pauli mit seinem Umfeld auch gar nicht, aber wäre auch generell nicht erstrebenswert. Es gibt genug Beispiele für Schachprojekte, die sich von einem Mäzen abhängig gemacht haben – und gestorben sind, als plötzlich der Mäzen weg war. Nochmal: Es muss balanciert sein.

Verstehen die Spender das?

Von Wersch: Die Spendenkampagne haben wir am Rüdersdorf-Wochenende gestartet. Seitdem machen wir die Erfahrung, dass Freunde und Fans unserer Abteilung immer dann etwas geben, wenn es Berichterstattung zu sportlichen Erfolgen gibt. Deshalb wird die Kampagne während der Saison funktionieren. Natürlich erklären wir unseren Fans durchgehend, dass wir kein Krösus sind, obwohl wir Magnus Carlsen haben. Der ist separat finanziert, davon bekommen Benedict oder Aljoscha Feuerstack nicht ihre Zugfahrten und Hotelkosten erstattet. Dafür brauchen wir eine andere Finanzierung.

Krause: Und darum waren die Spenden von Anfang an ein wichtiger Faktor. Wir mussten erstmal ein Gerüst schaffen, das uns Sicherheit für die Saison gibt und uns erlaubt, überhaupt für die Bundesliga zu melden. Diese Sicherheit war mit den ersten Spenden und der Sponsorenzusage aus Weissenhaus gegeben.

Aljoscha Feuerstack spielt als Amateur Bundesliga, kann aber auch 2700-Level, wie er in dieser Partie beim Pfingst-Open 2023 in München gezeigt hat.

Du spielst als Amateur?

Krause: Ja. Für Training im Verein bekomme ich ein bisschen Geld, aber nicht für Einsätze in der Bundesligamannschaft. Das Team besteht zwar aus Amateuren und Profis, aber wir sehen das nicht als zwei getrennte Einheiten. Wir sind eine Mannschaft, und der Plan ist, dass wir als solche agieren und auftreten, nachdem Neuzugänge und Stamm einander kennengelernt haben und zusammengewachsen sind.  

Von Wersch: Das Konstrukt mussten wir auch vereinsintern erstmal erklären. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Geschäftsstelle haben „Magnus Carlsen zu St. Pauli“ in der Presse gesehen und hatten ganz falsche Vorstellungen über Anstellungsverträge und so weiter. Die wussten, dass wir formal eine Amateurabteilung sind, aber nicht, dass wir im Schach teilweise mit Profis spielen. Geschweige denn, dass unser Jahresetat etwa dem Monatsgehalt eines Profis in der Fußballbundesliga entspricht. Nachdem das geklärt ist, bauen wir jetzt die ganze Infrastruktur, damit zum Beispiel Abrechnungen sauber laufen. Im geschäftlichen Betrieb sollen bei uns keine Umschläge mit Geld ausgegeben werden, das muss alles ordentlich und nachvollziehbar geregelt sein. Außerdem wird für Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit die enge Kooperation mit der Geschäftsstelle wertvoll sein.  

Wie hat sich die Riesenaufmerksamkeit für die Carlsen-Verpflichtung auf eure Abteilung ausgewirkt? Hat sie sich in Zulauf umgesetzt?  

Von Wersch: Wir spüren diese Aufmerksamkeit sehr deutlich. Ich arbeite in den Medien, aber sowas habe ich noch nicht erlebt. Die Resonanz liegt nicht allein an Magnus, sondern eben an dieser besonderen Kombination St. Pauli/Magnus Carlsen. Carlsen bei Viernheim oder Baden-Baden wäre auch interessant gewesen, aber hätte längst nicht diese Welle ausgelöst. „Ist Magnus diese Woche beim Vereinsabend? Kann ich vorbeikommen?“ – solche E-Mails kriegen wir jetzt ständig. Leute wollen Magnus-Autogrammkarten, Magnus-FCSP-Shirts oder beim Mannschaftstraining zuschauen. Die Magnus-Fancommunity besteht aus ganz vielen Leuten, die sich am Rande mit Schach beschäftigen, ihn als Typen kennen, vielleicht mal einen Stream schauen, aber keine Vorstellung von Schachvereinen oder -ligen haben. Das ist bei Medienvertretern oft ähnlich. Die wollen das Mannschaftstraining filmen und fragen, wann sie ein Kamerateam schicken können. Aber wir haben auch konkreten Zulauf, mehr als 30 neue Mitglieder seit der Verpflichtung, dazu extrem viele Anfragen von Jugendlichen oder Eltern, die mit ihren Kindern zum Schach kommen wollen.

Jugendarbeit ist nicht euer Paradefeld.

Von Wersch: Da müssen wir viel besser werden und mehr machen. Das Geld, welches wir jetzt einnehmen, wird zum Teil dafür verwendet, Jugendarbeit und Strukturen aufzubauen. 

Die braucht ihr auch, sollte die Bundesliga ihre seit langem geplanten „Teilnahmekriterien“ beschließen. Demnach würde aus der Liga ausgeschlossen, wer keine Jugendarbeit macht.

Von Wersch: Ich habe mir die Kriterien angeschaut. Ob wir, Stand jetzt, ausgeschlossen würden, erscheint mir nicht so klar. Aber unabhängig davon arbeiten wir intensiv daran, unsere Jugendarbeit zu verbessern. Wir melden jetzt eine Jugendmannschaft, nicht 35 wie der HSK, sondern erstmal eine. Darüber hinaus kooperieren wir mit Schulen, nicht mit 20 wie der HSK, sondern erstmal mit zwei oder drei. Frank Sawatzki, ein Lehrer, der in der ersten Mannschaft spielt, baut gerade diese Strukturen auf und treibt das Thema voran.

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Frank Sawatzki, Bundesligaspieler, Lehrer und St-Pauli-Jugend-Pionier. | via FC St. Pauli

 

Wie werdet ihr Fußball und Schach miteinander verknüpfen?

Von Wersch: Die Vermarktung der Fußballer bezieht uns jetzt schon ein und nimmt uns mit, wo es passt. Das fängt gerade erst an. Magnus beim Fußball, Magnus-Trikots, das sind natürlich Überlegungen. Im Stadion haben wir eine Kita und einen „Kids Club“ mit 1500 Kindern, die „Rabauken“. Vielleicht können wir da Schach reinbringen. Die ganz große Gemeinsamkeit ist das Stadion, das wir für unsere Heimkämpfe nutzen. Aus meiner Sicht ist langfristig wichtig, dass wir die professionellen Ressourcen des Vereins und die Schachabteilung so gut wie möglich verknüpfen. Das wird auf allen Ebenen des Vereins unterstützt.

Benedict, lass uns noch aufs Sportliche gucken. Du hast eben „Klassenerhalt“ gesagt. Mit dem besten Spieler der Welt am ersten Brett und einigen gestandenen Großmeistern dahinter klingt das sehr bescheiden.

Krause: Aber realistisch. Die Liga ist so unglaublich stark geworden. Vor ein paar Jahren wären wir mit der jetzigen Truppe in der oberen Hälfte angesiedelt, aber jetzt? Fast die komplette Top 30 der Welt, ganze viele aus den Top 100 spielen Bundesliga. Da müssen wir erstmal sehen, wie wir zurechtkommen. Den Abstieg wollen wir vermeiden. Wenn es sehr gut läuft, landen wir vielleicht im oberen Mittelfeld. Aber ich werde vor allem sehr froh sein, sobald wir die nötigen Punkte gegen den Abstieg beisammenhaben. Leicht wird das nicht. Generell sind Prognosen schwierig, weil alle Kader recht ausgeglichen sind.

Normalerweise guckst du dir vor der Saison Gegner aus, gegen die du unbedingt punkten willst und entsprechend aufstellst, oder andere, die so stark sind, dass du es mehr oder weniger laufen lässt. Nur ist es in dieser Saison schwierig, für das eine oder andere Kandidaten zu finden. Alle sind stark.

Krause: Viel hängt davon ab, wer wann seine Stars einsetzt. Das kann man manchmal erahnen, manchmal nicht. Wir haben uns natürlich längst Gedanken gemacht, wann wir wie aufstellen wollen, aber dazu kann ich nicht ins Detail gehen.

Lässt sich schon sagen, wie oft Magnus Carlsen spielen wird?

Von Wersch: Sicher zweimal, nicht öfter als sechsmal. Genaues steht noch nicht fest, außer dass er für unsere große Show bei der Heimrunde im März zugesagt hat. Alles Weitere müssen wir sehen. Im Januar kommt Düsseldorf nach St. Pauli, vielleicht mit Weltmeister Gukesh. Ich kenne nicht Magnus‘ Terminkalender, aber könnte mir vorstellen, dass ihn das reizt.

Gibt es schon Planungen für März?

Von Wersch: Planungen ja, wenig Konkretes. Wir planen das in enger Zusammenarbeit mit Weissenhaus und werden das ja auch gemeinsam mit dem HSK ausrichten. Wir werden Kinder einbinden, wir werden Magnus und unsere Profifußballer einbinden, am Vorabend wird es ein Blitzturnier geben. Sicher ist, wir werden eine volle Hütte haben. Das kann ich anhand der vielen Anfragen schon sehen.

2008 verlor Magnus Carlsen, seinerzeit für Berlin am Brett, in der Bundesliga eine Partie gegen Bartosz Socko. In der kommenden Saison werden die beiden Seite an Seite für den FC St. Pauli kämpfen.

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