Viernheim mit Mühe, Baden-Baden souverän (7. Spieltag)
Nun prangt auch auf der einstmals weißen Weste der Schachfreunde Deizisau ein Fleck in Form eines Minuspunktes. Nach dem 4:4 zwischen den Deizisauern und dem FC Bayern führt der SC Viernheim die Tabelle als einzige verlustpunktfreie Mannschaft an. Als erster Verfolger hat sich Titelverteidiger Baden-Baden angestellt. Das 7,5:0,5 der OSG in Dresden hat den Deutschen Meister nach Brettpunkten bis auf 1,5 Zähler aufschließen lassen.
Am Tabellenende ist neben Aufsteiger HSK Lister Turm der Hamburger SK zurückgefallen. Nach einem 3,5:4,5 gegen Mülheim-Nord liegen die Hanseaten zwei Punkte hinter dem Tabellen-14. und drei hinter den Nichtabstiegsrängen.
Der Baden-Badener Kantersieg steht längst fest, aber Mateusz Bartel kämpft noch um den Dresdner Ehrenpunkt. Er sollte nur einen halben bekommen. | Foto: Ina Gottschall
Für die beste deutsche Schachnachricht der Woche hatte das Baden-Badener Schachteam schon gesorgt, bevor die Bundesliga an die Bretter bat. Das Grenke-Schachfestival mit Open und "Classic", zuletzt 2019 ausgetragen, kommt zurück! Die Schwarzwaldhalle in Karlsruhe wird wieder Schauplatz eines Superturniers sowie des potenziell größten Opens Europas sein. Die Anmeldung ist offen.
Unter anderem ohne ihren Stammspieler Vincent Keymer traten die Baden-Badener zum Bundesliga-Auswärtsspiel in Sachsen an. Auf Keymer wartete drei Stunden nach Bundesligaanpfiff sein Match gegen US-Großmeister Jeffery Xiong in der Champions Chess Tour. Offenbar hatten die Deutschen Meister kalkuliert, dass es gegen Dresden auch ohne die deutsche Nummer eins reichen würde.
Die Rechnung ging auf. Während Keymer nach seinem 3:0 über Peter Svidler auch gegen Xiong triumphierte, 3:1 diesmal, triumphierten seine Mannschaftskollegen gegen Dresden. Die Partie, die am ehesten für die Galerie taugt, spielte, keine Überraschung, Alexei Shirov gegen Roven Vogel, dessen couragierte Versuche nicht belohnt wurden.
Am ehesten fertig war Punktemaschine Sergei Movsesian, der sich mit Schwarz einem Benoni im Anzug gegenübersah - und dafür sorgte, dass dieser Benoni bald im Hemd dastand. Danach triumphierte Radoslaw Wojtaszek, und schließlich kippte ein Brett nach dem anderen zugunsten der Gäste. Da passte ins Bild, dass sich Alexander Donchenko gegen Mateusz Bartel ins Remis rettete. Immerhin blieb den Dresdnern die erste Höchststrafe der Saison erspart.
Aufsteiger SC Ötigheim kann für eine weitere Bundesligasaison planen. Gegen den designierten Absteiger aus Hannover setzten die Ötigheimer zum ersten Mal in dieser Saison Nijat Abasov ein. Der aserische Großmeister unterbrach seine Vorbereitung aufs Kandidatenturnier, um seinen Mannen am vierten Doppelspieltag zu helfen.
Schon gegen Hannover stellte er fest, dass es auch für WM-Kandidaten in der Bundesliga keine Selbstläufer gibt. Jakob Pfreundt und dessen Philidor auf der anderen Seite des Brettes agierten auf Augenhöhe.
Aber nicht nur an diesem Brett kam, wie so oft die Regel zum Tragen, dass sich mit zunehmender Spieldauer eben doch meistens das Eloübergewicht durchsetzt. Einen Ehrenbrettpunkt bekamen die Hannoveraner, jeweils zur Hälfte erzielt von Torben Schulze und Tobias Vöge.
Während bei Baden-Baden Vincent Keymer wegen der Champions Chess Tour aussetzte, trat bei den Bayern um 14 Uhr Jaime Santos Latasa an, obwohl für 17 Uhr sein Tour-Match gegen Alexander Grischuk angesetzt war. Gegen das badische Spitzenteam wollten die Münchner offenbar auf keinen ihrer Großmeister verzichten.
Auf der anderen Seite hatte Deizisau keine Wahl. Abhijeet Gupta, 3,5/4 bislang, fiel nach einer Handgelenk-OP verletzt aus. Aber es spielte immerhin der von der Lokalzeitung groß angekündigte Bundestrainer Jan Gustafsson, der auch nach dem siebten Spieltag ohne Niederlage dasteht (2,5/5).
Die Bayern haben Anlass, mit einem verlorenen Punkt zu hadern. Am ersten Brett ging Matthias Blübaums Französisch derart schief, dass es Latasa fast noch zu seinem Grischuk-Match geschafft hätte. Aber Blübaum verteidigte seine Ruine so zäh, dass Latasa bis über die Zeitkontrolle hinaus für den Punkt kämpfen musste. Für die Bayern gewann er zwar, aber sein Online-Match gegen Grischuk ging kampflos verloren.
Alexander Graf gewann dank eines Einstellers seines Gegners Material und schließlich die Partie, sodass der Kampf wieder ausgeglichen stand. Aber da fuhr auf Münchner Seite Klaus Bischoff gegen Andreas Heimann längst auf einer Endspieleinbahnstraße, und als es 3,5:3,5 stand, fuhr er dort immer noch. Die Frage war nur, was der Münchner am Ende dieser Straße finden würde – einen halben oder einen ganzen Punkt?
DIe Antwort stellte sich nach 95 Zügen und fast sechseinhalb Stunden ein. Andreas Heimann rettete seinem Oktett einen Punkt.
Zum ersten Mal in der Bundesligageschichte spielte bei Gastgeber Deizisau ein Ehepaar Seite an Seite in einer Mannschaft. Viernheims Kapitän Stefan Martin hatte beide Deutschen Master nominiert, Dennis Wagner und Dinara Wagner, die gegen die Münchner Akademie zu ihrem ersten Saisoneinsatz kam.
Dennis Wagner hatte sich gezielt auf Gerald Hertnecks Slawisch vorbereitet, bekam genau das aufs Brett, was er angestrebt hatte und brachte sein Team früh in Führung. Aber an einem Tag, an dem selbst der sonst zuverlässig punktende Anton Korobov mit Weiß nichts rausholt, mag es trotzdem eng werden.
"Eine knappe Kiste" erahnte im einzigen Bundesligisten-Livestream Ilja Zaragatski, als er mitansah, wie Bassem Amin in Schwierigkeiten geriet und Dinara Wagner auf der Uhr wie auf dem Brett wackelte, während sich nicht abzeichnete, wer weitere volle Punkte für den Tabellenführer erzielen würde.
Aber die Zeit und die nominelle Überlegenheit lösten dieses Problem. Den Schlusspunkt setzte Shakhriyar Mamedyarov nach etwa sechs Stunden, der damit seine Kurzarbeit des vergangenen Doppelspieltags kompensierte. Aber zum Leidwesen der Zuschauer hatte er deswegen diesmal keine Zeit für eine weitere Meisterklasse hatte, in der er über Kortschnoi und Carlsen, Tromposwsky und Skandinavisch hätte referieren können.
Der SK Kirchweyhe verabschiedet sich vorerst aus dem Spitzenquartett der Bundesliga, während der bis dahin sieglose SC Remagen Sinzig zwei wichtige Punkte gegen den Abstieg sammelt. Kirchweyhe liegt mit drei Minuspunkten nun zwei Zähler hinter Deizisau und Baden-Baden. Remagen bleibt auf den Abstiegsrängen, aber hält Tuchfühlung nach oben.
Bis zum Stande von 3:3 war es ein ausgeglichenes Match, in dem die Entscheidung an den oberen beiden Brettern fallen musste. Hier waren in beiden Partien die Remagener am Drücker. Micrea Emilian Parligras und Antonios Pavlidis verwerten ihren Vorteil jeweils im Endspiel.
Dass dieser Kampf in Richtung Bremen läuft, hatten die Beobachter von der Insel früh ausgemacht. Im Gegensatz zu allen deutschen Schachmagazinen unterhält das britische "Chess" einen X/Twitter-Account und nimmt auf diesem Spieltag für Spieltag Anteil am Geschehen in der stärksten Liga der Welt, speziell am Schicksal der dort spielenden Briten.
Und doch lagen die Beobachter von der Insel nicht ganz richtig, als sie früh mitteilten, Luke McShane habe im Match Bremen vs. Heimbach-Weis-Neuwied zu seinem "trademark grind" angesetzt. Wer nun bald den trademark vollen Punkt erwartete, stellte nach fünf Stunden fest: alle anderen fertig, McShane grindet immer noch.
Es waren die Kollegin und die sechs Kollegen des Engländers, die den Bremern einen Sieg über den Aufsteiger bescherten, in erster Linie der aus Kirchweyhe losgeeiste Neuzugang Velimir Ivic sowie der Australier Bobby Sky Cheng, ehemaliger U12-Weltmeister. Diese beiden stellten auf 4,5:2,5. Luke McShane versuchte 127 Züge lang, den Sieg noch höher ausfallen zu lassen, aber Martin Krämer hielt stand.
Dass es gut laufen könnte für Kiel, zeichnete sich schon ab, als recht früh auf Solinger Seite der sonst so verlässliche Pentala Harikrishna in Schwierigkeiten geriet. Dann kam Solingens Florian Handke in Zeitnot und in ohnehin schwieriger Stellung auch noch ein Bauer abhanden. Diesen ersten Rückstand glich Alexander Naumann aus, nachdem Marius Fromm sich auf eine Schlagfolge eingelassen hatte, an deren Ende sein Läufer im gegnerischen Lager gefangen war.
Die Mittelachse friedlich, oben und unten Handgemenge, und unterm Strich eine Punkteteilung, die für die abstiegsbedrohten Kieler weit wichtiger sein dürfte, als sie die favorisierten, aber im Tabellenniemandsland spielenden Solinger schmerzt. Kiel wartet weiter auf den ersten Saisonsieg, liegt aber dank des Punktgewinns gegen Solingen nur einen Zähler hinter den Nichtabstiegsrängen.
Für Bundesligadino Hamburg wird die Lage immer kritischer. Während sich die Mülheimer dank ihres Siegs über die Nordmänner Luft verschafft haben, steckt Hamburg mit einem Punkt aus sieben Matches (gegen Baden-Baden!) im Abstiegsschlamassel.
Schlecht lief es für die Hamburger von Beginn an. Thies Heinemann kam nach einem taktischen Überseher ein Bauer abhanden, Sipke Ernst verrechnete sich, Leon Luke Mendonca und Frederik Svane kämpften mit dem Rücken zur Wand und eher um einen halben als um einen ganzen Punkt.
Das es wenigstens knapp war, verdanken die Hamburger der Zähigkeit der beiden Vorgenannten sowie dem Kampfesglück des Tüchtigen, das Lubomir Ftacnik hold war. In einer wilden Partie, in der mal der eine, mal der andere auf Gewinn stand, triumphierte schlussendlich der Hamburger über den Mülheimer Routinier.