Projekt 2800, Matchball in Kirchweyhe (2. Spieltag)
Die Stadt Düsseldorf und noch weniger das Örtchen Kirchweyhe dürften in Indien sonderlich bekannt sein. Am Sonntag sind beide für fast sechs Stunden auf dem Radar vieler tausend indischer Schachfreunde erschienen. In Kirchweyhe, im Düsseldorfer Dress, hatte der indische Schachstar Arjun Erigaisi die Chance, mit einem Partiegewinn als 16. Schachspieler jemals und zweiter Inder nach Exweltmeister Viswanathan Anand seine Elozahl über 2800 zu schrauben. Düsseldorf gewann, Erigaisi nicht, und das Unternehmen 2800 ist verschoben.
Mehr als 13.000 Reisekilometer lagen hinter Arjun Erigaisi, als er zum zweiten Düsseldorfer Match des Wochenendes überraschend das erste Brett des Meisterschaftsfavoriten besetzte. Jan Werner, Vereinspräsident und Mannschaftskapitän, berichtete, Erigaisi sei nach der Schacholympiade in Budapest wegen des anstehenden Bundesligaeinsatzes nach Bremen geflogen. Von dort aus wäre es bis Kirchweyhe nicht mehr weit gewesen. Aber dann bekam er die Einladung seines Ministerpräsidenten, der den indischen Goldmedaillengewinnern und -gewinnerinnen persönlich gratulieren wollte. Erigaisi flog nach Neu-Delhi - und direkt wieder zurück nach Bremen.
Nachdem er am Samstag ausgesetzt hatte, tauchte der Weltranglistendritte Arjun Erigaisi (r.) am Sonntag überraschend doch im Kirchweyher Spiellokal auf. Nach einer Niederlage gegen Ediz Gurel verließ er es als Weltranglistenfünfter. | Foto: Jan Werner/Düsseldorfer SK
Nach dem 6,5:1,5 über Mülheim am Vortag trafen die Düsseldorfer nun auf eine reine Großmeistertruppe, die sich nicht einfach so überfahren lassen sollte. Und doch hätte das Ergebnis am zweiten Spieltag genauso deutlich ausfallen können wie das am ersten. Zwei halbe Brettpunkte gingen verloren, weil Arjun Erigaisi und Jan Gustafsson die Brechstange auspackten, um gegen nominell schwächere Gegner irgendwie zu gewinnen.
Der Mannschaft schadeten sie damit nicht, die hatte längst gewonnen. Kirchweyhe wiederum, in der vergangenen Saison lange an der Spitze, startet mit zwei Heimniederlagen in die Saison 2024/25.
Gustafsson verzichtete darauf, den bedrohlich weit vormarschierten f-Bauern von Robert Zelcic einzusammeln, was die Partie in ein ausgeglichenes Endspiel hätte versanden lassen. Stattdessen ließ der Bundestrainer Leben in der Stellung - und stellte fest, dass er sich ein kritisches bis verlorenes Endspiel eingehandelt hatte. Erigaisi, den Sprung über 2800 Elo vor Augen, wollte partout aus seinem ausgeglichenen Endspiel gegen Ediz Gurel etwas herausholen. Die beiden begaben sich in ein heikles Damenendspiel mit Freibauern auf beiden Seiten, in dem schließlich der junge Türke triumphierte.
Andererseits wird Jorden van Foreest zufrieden mit seinem halben Punkt gegen Hrvoje Stevic gewesen sein. Hätte er nicht eine spektakuläre Dauerschach-Lösung gehabt, die Lage wäre kritisch gewesen:
Unter großer Anteilnahme der vieltausendköpfigen indischen Zuschauerschar im Internet verpasste Erigaisi seinen ersten 2800-Matchball (dem gewiss weitere folgen werden). Neben 7,3 Elo büßte er den Spitzenrang in der indischen und den dritten Rang in der Weltrangliste ein. Erigaisi ist jetzt hinter Fabiano Caruana und seinem Düsseldorfer Mannschaftskameraden Gukesh die Nummer fünf der Welt.
Den Reigen gegen die Kirchweyher hatte Raunak Sadhwani eröffnet, als dessen Gegenspieler Erik van den Doel zu offensiv sein Hinterland entblößt hatte. Nach und nach kneteten die Düsseldorfer aus etwas besseren Stellungen ganze Punkte heraus. Auch das sehenswerte Durcheinander, das Victor Bologan und Ivan Zaja auf ihrem Brett angerichtet hatten löste sich in einen Punktgewinn für Düsseldorf auf.
Hätte doch Max Warmerdam im niederländischen Duell am ersten Brett gegen Thomas Beerdsen seiner Kompensation getraut. Beim Partiecheck am Laptop wird sich Warmerdam geärgert haben, als er die "minus 3" an der Stelle sah, wo er sich für eine Dauerschachabwicklung entschied.
Auch ein 7,5:0,5 gegen die zum zweiten Mal deutlich besiegte Truppe aus Mülheim-Nord war möglich. Allemal hat sich die mit zwei gewonnen Matches in die Saison gestartete SG Solingen zum Auftakt als Team präsentiert, auf das die großen Drei werden achten müssen.
Im einseitigen Vergleich gegen Mülheim waren eine Menge Wege zu sehen, eine Schachpartie zu gewinnen. Das geht etwa mit überlegenem Schachverständnis, wie es Alexander Naumann demonstrierte. Genauso geht es Stück für Stück mit technischer Kleinarbeit, so wie es Erwin l'Ami im Endspiel mit Mehrbauern zeigte.
Nicht zuletzt lassen sich Schachpartien mit taktischer Zauberei gewinnen. Mit einem Mattfinale beendete Mads Andersen die wahrscheinlich sehenswerteste der acht Partien.