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"Die Bayern zu besiegen, wäre das Größte": Marcus Wormuth, Teamchef SC Ötigheim

Nach mehreren gescheiterten Versuchen sollte der SC Ötigheim eigentlich nur in die Landesliga aufsteigen. Aber dann wurde der Kader immer größer und immer besser, und es entwickelte sich eine Aufstiegsdynamik, die den Club aus der baden-württembergischen 5000-Einwohner-Gemeinde bis in die höchste Spielklasse trug. Und auch dort gewannen die Ötigheimer die ersten drei von vier Matches in der jungen Saison 2023/24.

Marcus Wormuth, Bundesliga-Teamchef und Vorstand des Aufsteigers, warnt vor Übermut. Die dicken Brocken kämen erst noch, der Klassenerhalt bleibe das Ziel. Zwei ganz wichtige Punkte dafür können die Ötigheimer an diesem Wochenende beim Heimspiel gegen den FC Bayern einfahren, ein Duell, das für den Club von besonderer Bedeutung ist, wie Wormuth im Interview mit schachbundesliga.de erklärt:

Pizza zum Saisonabschluss: Marcus Wormuth (rechts) und ein Teil der Ötigheimer Jugendabteilung. | Foto: SC Ötigheim

Herr Wormuth, als Aufsteiger mit zwei Siegen gestartet, jetzt 6:2 Punkte. Wie kommt das in Ötigheim an?

Sehr gut. Wir haben viele Glückwünsche zu unseren Erfolgen entgegengenommen, clubintern, auch aus dem Umfeld.

Und Sie haben noch nicht einmal in Bestbesetzung gespielt.

Das hinzubekommen, wird kaum möglich sein. Im Schach-Terminkalender reiht sich ein Wettbewerb an den anderen, unsere Spieler haben viele Verpflichtungen, auch solche in anderen Ligen für Vereine mit größeren finanziellen Ressourcen. Wir müssen schon aufs Geld achten, insofern ist es unwahrscheinlich, dass wir mal mit den ersten Acht auflaufen. Nicht nur wir, fast alle Vereine haben einen großen Kader, um disponieren zu können.

Nach den Matches empfängt Teamchef Marcus Wormuth seine Spieler im Ötigheimer YouTube-Studio, wo sie die Partien zeigen, hier diejenigen des Matches gegen Neuwied.

„Noch ein Grenkeverein“ war mehrfach zu lesen, als Ihr Aufstieg feststand. Sie arbeiten bei Grenke.

Ja, aber deswegen sind wir kein „Grenkeverein“ oder ein Verein, den das Unternehmen sponsert. Ich arbeite nun einmal dort, das ist alles. Wolfgang Grenke kenne ich seit über 30 Jahren durchs Schach. Wir spielen im gleichen Bezirk, sind ungefähr gleichstark, da begegnet man einander gelegentlich am Brett.

Wie ist Ihre Bilanz gegen Wolfgang Grenke?

(Lacht) Ich bin unbesiegt.

Und wie ist das Verhältnis des SC Ötigheim zur großen OSG?

Bei uns ist alles einige Nummern kleiner, aber wir verstehen uns durchaus als Wettbewerber. Als wir angefangen haben, den Verein neu zu entwickeln, wollten wir in unserem Bezirk und speziell in Ötigheim eine Alternative zu Baden-Baden und deren extrem hoher Anziehungskraft aufbauen, etwas, das ambitioniert ist und für Talente attraktiv, aber etwas heimeliger, familiärer. Dieses Ziel gilt immer noch. Dass wir jetzt tatsächlich die Möglichkeit haben, in einer Klasse mit Baden-Baden zu spielen, hätte ich noch vor wenigen Jahren nicht geglaubt. 

Vor zehn Jahren war Ötigheim eher in regionalen Gefilden unterwegs. Was ist dann passiert?

Ich würde sogar 20 Jahre zurückschauen. Damals habe ich mich wieder meinem Heimatverein gewidmet, nachdem ich beruflich sehr eingespannt und viel unterwegs war. Der Verein schrumpfte, Mitglieder wechselten zu anderen Clubs, kaum Nachwuchs. Ich habe dann angefangen, Jugendarbeit zu machen. Nach und nach hat sich die Tendenz umgekehrt. Es kamen Leute von anderen Clubs dazu, unsere Jugendabteilung wuchs. Sportlich haben wir uns erstmal in der sechsten Liga stabilisiert.

Weit entfernt von der Bundesliga.

Die Entwicklung ging weiter. Einer unserer Neuzugänge spielte auch in Frankreich in einer Mannschaft, wir sind ja fast direkt an der Grenze beheimatet. Er fragte, ob ich nicht Lust hätte, auch ab und zu in Frankreich zu spielen. Das habe ich gemacht, und es ergab sich ein Austausch in der Form, dass drei, vier Leute aus Frankreich dann auch für uns spielten.

Unentgeltlich?

Ja, natürlich, wir reden über Schach als Hobby, aber ambitioniert. Wir sind zweimal hintereinander Zweiter geworden, haben jeweils das entscheidende Match um den Aufstieg verloren. Das hat mich gewurmt, ich wollte mit meinem Verein endlich eine Klasse höher spielen. Es kam dann ein Holländer dazu, den ich bei einem Turnier in Deizisau kennengelernt und nach einer sehr netten Analyse gefragt hatte, ob er ab und zu für uns spielen würde. Außerdem habe ich chessmix.com entdeckt, ein Schachportal mit Spielerbörse. Dort habe ich zwei, drei Leute angeschrieben, die uns verstärkt haben. Nebenbei sprach sich herum, dass wir ein netter Club mit Ambitionen sind. Schließlich hat es mit dem Aufstieg geklappt.

Nicht nur mit einem. Eigentlich wollten Sie nur in die Landesliga.

Wir sind viermal hintereinander aufgestiegen, das ergab sich. Wir hatten bald einen großen Kader, der eigentlich zu gut war für die Landesliga und sind quasi automatisch weiter nach oben geklettert. Unsere Neuzugänge spielen ja alle unheimlich gerne Schach und freuen sich, wenn sie einen Verein finden, der ihnen die Reisekosten und eine kleine Aufwandsentschädigung zahlt.

Wovon?

Vor allem private Geldgeber unterstützen unseren sportlichen Aufstieg. Über einen Sponsor würden wir uns sehr freuen, aber jemanden zu finden, ist im Schach nicht so einfach.

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Nijat Abasov wird als World-Cup-Vierter für Magnus Carlsen ins Kandidatenturnier 2024 nachrücken. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Deutscher Schachbund

Auch ohne Sponsor haben Sie sogar einen WM-Kandidaten im Kader. Was verbindet den aserischen Großmeister Nijat Abasov mit Ötigheim?

Die Verbindung ist entstanden, als wir in der zweiten Liga gegen Speyer-Schwegenheim spielten, die später abgestiegen sind, denen wohl auch ein Sponsor abgesprungen war. Der Mannschaftsführer sagte, er würde gerne einen oder zwei seiner Spieler anderswo unterbringen, und fragte, ob wir vielleicht Interesse haben. Nijat spielte an dem Tag gegen Maxime Lagarde. Wir haben uns hinterher ausgetauscht, seitdem ist Nijat Ötigheimer.

Wird er diese Saison spielen?

Geplant ist es, aber mit dem Kandidatenturnier und der Vorbereitung darauf ist speziell sein Kalender sehr voll geworden. Wir werden sehen.

Wie stehen die Mitglieder des SC Ötigheim zum sportlichen Aufstieg bis in die höchste Klasse?

Ich wüsste niemanden, der etwas dagegen hat. Alle unterstützen das, finden es großartig. Auf die Duelle mit Baden-Baden und Bayern München freut sich der ganze Verein. Im Fußball heißt es ja, die Bayern zu besiegen, sei das Größte für einen Club. Das ist bei uns genauso.

Das Ötigheimer Oktett zeigt die Partien aus der vierten Runde gegen Remagen.

Sie haben sogar ein Heimspiel.

Ja, gegen die Bayern. Das Heimspiel gegen Baden-Baden haben wir abgegeben für die zentrale Runde in Viernheim. Zähneknirschend zwar, aber für die Bundesliga ist es sinnvoll, eine zentrale Runde zu haben. Also spielen wir halt in Viernheim gegen Baden-Baden.

Intern sucht die Bundesliga nach dem Konsens, dass Bundesligisten Ausbildungsvereine sein sollten. Was ist aus Ihrer Jugendarbeit geworden?

Durch Jugendarbeit zu wachsen, attraktiv zu sein für junge Leute, ist ein wichtiger Faktor unseres Engagements. Wir betreuen mittlerweile mehr als 40 Kinder – in einem Dorf mit 5000 Einwohnern. Darauf sind wir stolz. Wir haben eine Schulschach-AG und mehrere Jugendgruppen. Regional haben unsere Talente schon einige Titel geholt, aber noch ist niemand dabei, der darüber hinaus herausragt. Vielleicht bin ich auch kein herausragender Trainer? (lacht) Mein Wunsch und Ziel ist jedenfalls, dass sich bei uns Spielerinnen und Spieler entwickeln, die wir ganz oben einbauen können. 

Sie machen die Jugendarbeit wahrscheinlich nicht mehr allein.

Von unseren drei Jugendgruppen betreue ich zwei, freitagabends vor dem Training der Erwachsenen. Zum Einstieg ins Wochenende kann ich das leisten. Und wenn ich mal keine Zeit habe, dann macht es mein Sohn oder jemand anderes aus dem Verein. Mittlerweile tragen einige Mitglieder unser Jugendengagement.

Was sagen Sie den Leuten, die Ihre Bundesligamannschaft sehen und feststellen, dass da gar keine Deutschen spielen?

Die sollen sich mal die obere Tabellenhälfte anschauen. Die Bundesliga ist so stark, in den Spitzenteams kommen eigentlich nur deutsche Nationalspieler unter. Wenn wir uns in dieser Klasse halten wollen, müssen wir erstmal darauf achten, dass die Mannschaft stark genug ist. In unserer Region wüsste ich keinen deutschen Großmeister, den ich ansprechen könnte. Abseits davon verweise ich auf unseren Neuzugang Marco Riehle. Auf die Zusage hin, dass er bei uns Bundesligaeinsätze bekommt, ist er aus der Oberliga nach Ötigheim gewechselt. Außerdem haben wir noch Timothée Heinz aus Straßburg. Er wohnt zwar auf der anderen Seite der Grenze, aber in unserer Region und spricht perfekt Deutsch. Den zähle ich auch als Einheimischen. Insofern haben wir zwei talentierte Spieler aus der Region in unserer Mannschaft. Natürlich dürften es mehr sein, aber es muss halt auch die Spielstärke passen.

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Aus der Oberliga nach Ötigheim: Marco Riehle (links). | Foto: Marcus Wormuth

Welche Position vertreten Sie in der Debatte um Einheimischenregelungen?

Clubs sollten Nachwuchsarbeit machen, nicht als Feigenblatt, sondern sie sollten darin im eigenen Sinne investieren. Das ist für mich klar und offensichtlich. Inwieweit sich der Einsatz einheimischer und einheimisch ausgebildeter Spieler in der Bundesliga verpflichtend vorschreiben lässt, steht auf einem anderen Blatt. Selbst wenn sich so eine Regelung rechtlich durchsetzen ließe, könnte es dazu führen, dass Vereine bei anderen wildern und Spieler aus ihrem Umfeld reißen, um eine Quote zu erfüllen. Das würde mir nicht gefallen, zumal als Vertreter eines Clubs, der über die Jahre deutsch-französisch geworden ist. Ich bin überzeugter Europäer und als solcher mit unserem Verein im Reinen.

Sie wissen jetzt, dass Sie sportlich mithalten können. Spielt Ötigheim immer noch gegen den Abstieg?

Zum Klassenerhalt sollten 13 Punkte reichen, das ist und bleibt unser erstes Ziel, ein realistisches nach meiner Einschätzung. Wenn es super läuft, schaffen wir vielleicht einen einstelligen Tabellenplatz.

Die Liga ist speziell in der unteren Hälfte ausgeglichen wie selten.

Und unser guter Start kann leicht ein falsches Bild vermitteln. Auf uns wartet noch ein hartes Programm. Bei der zentralen Runde geht es gegen Baden-Baden, Deizisau und Viernheim. Da holen wir wahrscheinlich nicht viele Punkte. Und wir müssen auch noch nach Solingen. Insofern sind wir gut beraten, möglichst früh Punkte zu sammeln.

Die Bayern schlagen…

Genau. Das wäre toll.

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