Runde der Sensationen: Baden-Baden und Hockenheim straucheln
Auch wenn ich in meinem Live-Streams zur Berliner Endrunde auf Schachdeutschland TV den 12. Spieltag als potenziellen Stolperstein für die bisher ungeschlagenen Spitzenreiter Baden-Baden und Hockenheim erwähnt habe, habe ich so wirklich nicht daran geglaubt. Denn wer die beiden Teams bisher erlebt hat bei dieser zentralen Endrunde, sah nicht einen Hauch von Nervosität oder Schwäche. Die gegnerischen Mannschaften kamen bisher nicht mal in die Nähe einer Sensation. Das sollte sich an diesem 12. Spieltag ändern….
Rustam Kasimdzhanovs (links) hübscher Sieg half den Baden-Badenern nicht. Das lag unter anderem daran, dass Bayern Münchens Martin Lokander einen Sahnetag erwischt hatte. Leidtragender: Sergej Movsesian (rechts). | Foto: Johannes Winkler
SV 1930 Hockenheim 1930 - SF Berlin 3,5:4,5
Als GM Rainer Polzin, 2.Vorsitzender der SF Berlin und Mitorganisator der Endrunde, sich zu mir in den Live-Stream gesellte, lag sein Team gerade mit einem Punkt hinten. Doch Rainer setzte noch auf Hoffnungen auf sein 5.Brett, Szymon Gumularz, der in seiner Partie gegen Dennis Wagner eine aussichtsreiche Position erreicht hatte.
Weiß steht riesig, der Sd5 ist ein Riese. Hier wurde Wagner in der Not erfinderisch: 32….Lg5! Dieser Läufer ist wegen ...Sxg5 nebst ...Dh3 unantastbar, so dass sich Weiß stattdessen entschloss mit 33.Tg1 die Qualität zu opfern und auf seine starken Figuren zu setzen. Am Ende waren es dann irgendwann 4 Bauern für die Qualität, die der Berliner locker nach Hause brachte und so für den Ausgleich sorgte. Das 4:4 schien besiegelt, da sich die Spannung auf den anderen Brettern stark in Grenzen hielt. Dann passierte zwischen dem Berliner Jacek Tomczak und dem Hockenheimer Ivan Saric folgendes….
Die ersten 71 Züge spielten die beiden eine Partie nahe der 0.00-Marke, so dass folgerichtig ein remises Turmendspiel entstand. Schwarz muss verhindern, dass Weiß mit seinem König die a-Linie verlassen kann um so seinem a-Freibauern Platz zu machen. Das wäre zum Beispiel möglich mit 72….Kc7, da nach 73.Tc2+ Kd7 74.Kb7 Tb2+! der Besuch des weißen König auf der b-Linie nur von kurzer Dauer ist.
Stattdessen spielte Schwarz 72…Kd7??, wonach Weiß mit 73.Kb7 sein Ziel erreicht hat und die Partie kurz danach gewann, da Schwarz den Bauern nicht mehr aufhalten konnte. Damit verlor Hockenheim diesen Mannschaftskampf also tatsächlich noch
Das sollte nicht die einzige Überraschung des Spieltags bleiben.
FC Bayern München - OSG Baden-Baden 4,5:3,5
Eigentlich schien es ja regulär zu laufen. Einigen frühen Punkteteilungen an den oberen Brettern ließ Rustam Kasimdzhanov an Brett 5 gegen Linus Johannsson einen hübschen Sieg folgen. Sie 4,5 Punkte für den Favoriten waren greifbar.
Hier hatte Schwarz gerade mit 21….Txg2 die Dame auf h6 angegriffen. Doch statt diese wegzuziehen, holte Weiß mit 22. Lxf7+! Zum entscheidenden Schlag aus. Da danach großer Materialverlust oder Matt nicht zu vermeiden ist, gab Schwarz direkt auf.
Doch die Baden-Badener hatten ihre Rechnung nicht mit Makan Rafiee gemacht. In einer wilden taktisch komplexen Partie mit Fehlern auf beiden Seiten spielte der Münchener am 8. Brett gegen gegen den 280 Elo-Punkte-Favoriten Vadim Milov folgende hübsche Variante:
Rafiee packte das starke Qualitätsopfer 43.TxSd5! aus, nach dem die weißen Freibauern kaum noch aufzuhalten sind. Schwarz kreierte in der Not noch Gegenspiel, doch gab in folgender beachtenswerter Schlussstellung auf:
Es gibt kein Schach mehr, Weiß droht Dg8 nebst Matt oder holt sich im Zweifel noch eine dritte Dame.
Doch damit nicht genug der Münchener Heldentaten, auch Martin Lokander spielte gegen Sergei Movsesian eine überragende Partie:
Da Te1 und auch Lh3 drohen, muss Weiß Ld4 spielen und seinen Läufer auf f2 für den gefährlichen Freibauern geben. Die folgende Partiephase spielte Lokander wie ein Uhrwerk mit hoher Präzision und gewann am Ende verdient mit seinen verbunden starken Zentrumsfreibauern.
Damit führten die Münchener 4 zu 3. Die letzte laufende Partie von Yannick Gozzoli gegen Philip Lindgren entwickelte sich zu einer dramatischen Zeitnotschlacht, in der der Münchener die Nerven behielt und den halben Punkt und den Mannschaftssieg nach Hause brachte.
Ausblick
Während die Favoriten strauchelten, gewann Verfolger Deizisau souverän 5,5:2,5 gegen Augsburg.Jetzt ist Deizisau auf einen Punkt an die beiden Spitzenteams herangerückt. Und da sie an den letzten Spieltagen sowohl noch gegen Baden-Baden als auch gegen Hockenheim spielen, haben sie die Meisterschaft zumindest theoretisch noch in der eigenen Hand.
Diese Ausgangslage könnte spannender nicht sein, denn natürlich wartet am Samstag auch noch das direkte Duell der Spitzenteams.
Und nach heute wissen wir: Alles ist möglich!