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Über das große Geld beim Poker und einen Sieg im Schlaf - Interview mit GM Matthias Wahls (Teil 2)

GM Matthias Wahls war in den 80er und 90er Jahren einer der stärksten deutschen Spieler und mit 21 Jahren der zum damaligen Zeitpunkt jüngste deutsche Großmeister aller Zeiten. Ende der 90er Jahre zog er sich jedoch vom Schachsport zurück und wandte sich lukrativeren Geschäftsfeldern zu: 2005 war er Mitbegründer einer erfolgreichen Pokerplattform. Heute lebt er in Gibraltar und denkt über eine Rückkehr ans Schachbrett nach.

Lesen Sie im 2. Teil unserer Interviews, warum Schach hinsichtlich der Popularität nicht mit Poker konkurrieren kann und wie ein Matthias Wahls einmal von einem Gegner quasi "im Schlaf" besiegt wurde.

SBL: 2005 gründeten Sie zusammen mit Dominik Kofert die Poker-Plattform PokerStrategy.com und waren offenbar auch einige Jahre als professioneller Pokerspieler aktiv. Konnten Sie hier ähnliche Erfolge erreichen wie im Schachsport? Sind Sie heute noch In- oder Teilhaber dieses Unternehmens? Spielen Sie noch aktiv oder gar professionell Poker?

Wahls: Meine Phase als Pokerprofi dauerte nicht allzu lang, da die Gründung von PokerStrategy das aktive Spielen nur noch sehr eingeschränkt zuließ. Meine damalige Spielstärke reichte in keinster Weise an meine schachlichen Leistungen heran. Letzterer liegt auch ein ungleich viel höherer Zeiteinsatz zugrunde. Damals war Poker noch relativ einfach. Ich versuche das jetzt mal auf Schach zu übertragen. Alles was man damals brauchte war eine Spielstärke von 2200 und etwas Geduld und Disziplin. Man wartete auf gute Hände, um diese dann gegen Spieler mit 1900 zum Erfolg zu führen.

Dieses Konzept ging jedenfalls gut auf bis hoch zu den mittleren Limits. Heutzutage sieht die Sache anders aus. Viele der sogannenten „Fische“, also Zocker ohne Spielkultur, aber mit der Bereitschaft zu hohen Einsätzen, sind verschwunden, da ihre Schmerzensgrenze irgendwann erreicht wurde. Einige von ihnen sind auch einfach besser geworden, da nach und nach immer mehr hilfreiche Literatur auf den Markt kam. Heutzutage, und das gilt schon seit einigen Jahren, würde ich niemandem mehr empfehlen, es als Pokerprofi zu versuchen.

Problematisch sind vor allem die „Bots“ (Programme) die unerlaubterweise auf einigen Plattformen ihr Unwesen treiben. Genau wie im Schach sind sie dem Menschen überlegen. Sehr talentierte Spieler können sich auch heute noch durchsetzten, aber diese Gruppe ist deutlich kleiner und elitärer geworden.
Meine Anteile an PokerStrategy hatte ich bereits vor vielen Jahren verkauft. Anschließend habe ich nach längeren Pausen zum Spaß immer mal wieder gespielt. Die letzte Pokerhand liegt nun vier Jahre zurück.

SBL: Poker erlebte in den 2000er – Jahren einen sehr starken Boom und erreichte eine sagenhafte Reichweite im Internet und den Medien. Glauben Sie, dass Schach eine vergleichbare Attraktivität und Popularität erreichen könnte und wenn ja, welche Voraussetzungen müssten hierfür geschaffen werden?

Wahls: Ich glaube nicht, dass Schach hinsichtlich Popularität mit Poker wird konkurrieren können. Das hat viele Gründe. Zum einen sind die Eintrittsbarrieren deutlich höher. Für Schach muss man deutlich mehr Zeit investieren, um halbwegs zu verstehen, worum es geht. Dies erfordert Geduld und Beharrlichkeit. Solche Tugenden sind allerdings immer mehr am Verkümmern, in einer Zeit, die immer schnelllebiger, konsumorientierter und oberflächlicher wird.

Poker liefert schnellere Erfolgserlebnisse. Jeder Anfänger kann den Weltmeister schlagen, wenn er zwei Asse in der Hand hält. Auch sind schwache Spieler in der Lage, durch eine Glückssträhne mal mehrere Tage hintereinander zu gewinnen. So etwas motiviert und hält die Spieler bei Laune. Man darf in diesem Zusammenhang die Tendenzen der menschlichen Wahrnehmung oder des Gedächtnisses zur Selektion nicht vergessen. Dem Zocker bleiben seine glücklichen Erfolge sehr wohl im Gedächtnis. Die Misserfolge hingegen werden leicht verdrängt oder als Pech abgetan.

Vor allem aber bedient Poker den Traum vom schnellen Reichtum. Im Jahre 2003 geschah das Unfassbare. Der Buchhalter Chris Moneymaker gewann das Main Event der World Series of Poker und damit 2,5 Millionen US Dollar. Die Summe an sich ist nicht besonders hoch im Vergleich zu den fast 6 Millionen Dollar, die Greg Raymer ein Jahr später gewinnen konnte oder gar zu den 14 Millonen von Martin Jacobsen aus dem Jahr 2014. Doch der Clue war, dass Moneymaker ein Poker-Nobody war. So manch einer dachte sich danach: „Na, wenn der Chris das kann, dann kann ich das vielleicht auch.....“

Poker ist auch telegener als Schach. Es kann im Fernsehen leicht erklärt und auch spannend kommentiert werden. Es hat etwas cooles an sich, wenn die Cracks mit ihren Sonnenbrillen hinter ihren riesigen Stacks sitzen und gekonnte Fingerakrobatik mit ihren Chips anstellen. Und was ist spektakulärer als zu beobachten, wie einer der Akteure in einer wichtigen Hand all-in geht und seine gesamten Chips kraftvoll in die Mitte schiebt? Dann empfehle ich jedem, sich mal aus Spaß Youtube-Videos vom 14-fachen Bracelet Winner Phil Hellmuth anzuschauen, in denen er seine Gegner schamlos beschimpft. Keine Ahnung, wie man mit Schach derartige Effekte erzielen will. Einen Robert Fischer wird es so schnell nicht wieder geben.

SBL: In der Saison 1985/86 kamen Sie für den Hamburger SK erstmals in der Bundesliga zum Einsatz und spielten in der Folge ununterbrochen bis zur Saison 2005/06 insgesamt 284 Partien, aus denen Sie 153,5 Punkte holten. Erinnern Sie sich noch an Ihren allerersten Einsatz?

Wahls: Das war gegen Frank Grzesik in der Begegnung HSK-Kreuzberg. Wie ich gerade beim Nachspielen der Partie festtstellte, hatte ich als Weißer eine gewisse Initiative gegen seinen Aljechin, die er aber gekonnt zu neutralisieren verstand. Wäre diese erste Partie spektakuläre gewesen, hätte ich ihren Verlauf vielleicht im Gedächtnis behalten.

SBL: Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Bundesliga im Laufe der Jahre verändert?

Wahls: Ich muss gestehen, dass ich jahrelang ziemlich schachabstinent gelebt habe, um mit meinem Rückzug besser leben zu können. Das ist vermutlich ähnlich wie mit dem Alkoholiker, der am besten selbst auf Tiramisu verzichtet. Ich konnte den Verlauf also nicht verfolgen, aber habe ja weiter oben bereits den Ist-Zustand anerkennend kommentiert.

SBL: Aktuell gibt es einige Diskussionen, wie die Liga für Zuschauer und Sponsoren attraktiver gemacht werden könnte. Wie ist Ihre Meinung hierzu?

Wahls: Ich befürchte, ich kann hier keine simplen Weisheiten verkünden. Zunächst steht mir so etwas nach meiner langen Auszeit gar nicht zu, zum anderen sehe ich nach wie das alte Dilemma. Schach ist nun mal ein edles Spiel mit einer stolzen Tradition. Soll man nun profane oder reißerische Elemente hinzufügen, um es massentauglicher zu machen?
Einige sinnvolle Veränderungen wurden ja bereits durchgeführt, wie die Verkürzung der WM-Zyklen oder die Abschaffung der Hängepartie. Es ist klar, dass zur Vemittelbarkeit von Schach schnellere Resultate von Nöten waren. Wie weit soll man aber gehen? Sollte sich der HSK in SK Beiersdorf umbenennen, nur um einem potenten Sponsor zu gefallen? Auf Ihrer Website Gobsy.de haben Sie sich selbst ja bereits auf professioneller Ebene Gedanken ums Schachmarketing gemacht. Unter anderem empfehlen Sie den Einsatz von Youtube-Videos.

Ich will das mal aufgreifen und ein paar unausgegorene Gedanken dazu äußern. Wie wäre es, wenn man alle Partien eines Bundesliga-Wettkampfs massentauglich kommentieren würde. Das wäre vielleicht irgendwo auf einem Niveau zwischen 1200 – 1600 Elo denkbar und sollte natürlich eher locker-flockig rüberkommen. 5- 7 Minuten pro Partie, mit der Möglichkeit, durch Markierungen leicht zur nächsten Partie zu springen. Für den Service muss der Zuschauer halt das Sponsoren-Banner ertragen. Diese Videos könnten dann auf dem BL-Kanal veröffentlicht werden oder auch direkt auf dem Kanal des Sponsors. Sollte irgendein Sponsor so etwas einmal in Erwägung ziehen, wäre ich zu einen Versuch durchaus bereit.

SBL: In der Zeitschrift „SCHACH“ erscheint seit der Juni-Ausgabe eine sehr hochwertige Artikelserie von Ihnen, die sich dem Aufbau eines soliden Eröffnungsrepertoires für Amateurspieler widmet. Gleichzeitig haben Sie auf matthias-wahls.com eine englischsprachige Webseite eröffnet, auf der Sie, neben einem regelmäßigen Blog, auch Training anbieten. Planen Sie eine Rückkehr ans Schachbrett oder vielleicht sogar in die Schachbundesliga?

Wahls: Es würde mich schon reizen, mal wieder ein wenig die Klötzchen zu schieben. Da ich aber ziemlich eingebunden bin und aus Eitelkeit zunächst an meinem Eröffnungsrepertoire feilen möchte, ist ein „Comeback“ vor Frühjahr/Sommer 2017 nicht realistisch. Ich glaube aber kaum, dass es dann mehr als zwei Turniere pro Jahr sein würden. Für Bundesligaeinsätze wohne ich leider in Gibraltar total ungünstig. Sollte ich irgendwann wieder nach Hamburg zurückziehen, würde ich aber gerne wieder in der Bundesliga spielen.

SBL: In rund 30 Jahren Spitzenschach und 21 Jahren Bundesliga erlebt man bestimmt eine Menge Kurioses. Haben Sie vielleicht die eine oder andere Anekdote, die Sie erzählen könnten?

Wahls: Da haben Sie Recht. In 30 Jahren kommt man als Schachspieler ganz schön viel rum und trifft auch auf interessante Gestalten. Ich könnte nun tatsächlich verrückte Anekdoten zum Besten geben in denen jemand anderes eine besonders unglückliche oder lustige Figur abgibt. Das lasse ich aber schön brav sein.

Als Alternative fällt mir eine kleine Komödie ein, in der ich selbst die Hauptrolle spielte. Das Dortmund Open 1988 war ziemlich hart für mich, denn ich litt unter Liebeskummer. Damit aber nicht genug. In einer frühen Phase des Turniers hatte ich gegen Van der Veen ein Damenendspiel. Dies sollte mit 155 Zügen meine längste Partie überhaupt werden. Dreimal musste ich früh aufstehen und zur Hängepartie antreten. Und abends immer diese nervige Analyse. Am Ende konnte ich zwar die Partien gewinnen – aber verlor das Turnier!

Das bedeutet nicht, dass ich Letzter wurde, aber ich verpatze einfach viele Partien, aufgrund von Überlastung und Schlafmangel. So opferte ich zum Beispiel gegen einen etwas beleibteren Herrn mit Elo 2220 (ich selbst hatte 2440) völlig inkorrekt einen Turm gegen einen Bauern und Angriff (wie ich zunächst meinte). Das Schlimme daran war, dass mein Gegner mehrfach einschlief. Dabei hatte er die Hände auf seinem Bauch gefaltet und das Kinn ruhte auf seiner Brust. Jedesmal wachte er aber relativ schnell mit einem leichten Schnarcher wieder auf. Bei diesem Anblick keimte immer wieder Hoffnung in mir auf, und ich dachte mir: „Diese Partie kannst du doch nicht wirklich verlieren....“ Er spielte aber ganz manierlich und ließ mir keine Chance.

In einer späteren Runde stieß ich beim Ausführen eines Zuges meinen Kaffeebecher um. Die braune Soße ergoss sich übers ganze Brett. Mein Gegner war zu diesem Zeit nicht anwesend. Ich tat, was ich tun musste. Ich setzte meine Uhr wieder in Gang und eilte zu den Toiletten. Dort stopfte ich mir möglichst viel Papier in die Taschen. Wieder am Brett angekommen entfernte ich sämtliche Figuren und trocknete das Brett. Nun mussten alle Figuren einzeln abgetupft werden. Der grüne Filz hatte sich vollgesogen. Das Ganze geschah im Eiltempo, denn ich wollte fertig sein, bevor mein Gegner wieder am Brett erschien. Ich weiß nicht genau, wie lange es schließlich dauerte, aber am Ende standen alle Figuren wieder brav auf ihrem angestammten Platz. Das einzige, was an meinen Unfall erinnerte, war der penetrante Geruch nach Kaffee. Der allerdings schien meinen Gegner nicht zu beeindrucken. Er kam irgendwann nach dem ganzen Vorfall wieder ans Brett, überlegte eine Weile und machte seinen Zug. Ich glaube, er hat bis heute nichts bemerkt.
 

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