Harikrishna setzt vier Bremer matt (3. Spieltag)
Als neulich der bayerische Landesliga-Klassiker zwischen dem FC Bayern und dem Münchener SC 1836 ausgespielt werden sollte, sah der FCB-Vorsitzende Jörg Wengler eine "Farce". Von acht Brettern waren vier vollständig besetzt, die Hälfte der "Partien" endete kampflos.
So arg kam es am dritten Spieltag der Schachbundesliga nicht. Gleichwohl schaltete das Winterwetter dem Spieltag einen Anreisewettbewerb unter den Bundesligisten und ihren Spielern vor. Nicht alle absolvierten diesen Wettbewerb erfolgreich. Einen klaren Sieger gab es, den Solinger Spitzengroßmeister Pentala Harikrishna. Am Freitag spielte er auf dem Münchener Flughafen drei Bremer Großmeister aus und am Samstag im Weserstadion den vierten.
Schachbundesliga in Deizisau. | Foto: Stefan Spiegel
Normalerweise geht es hier ausschließlich um die Schachbundesliga. An diesem Spieltag waren viele Augenpaare der Verantwortlichen der Bundesligisten auf das Geschehen in der zweiten Bundesliga West gerichtet. Dort ist mit dem Düsseldorfer SK die stärkste Mannschaft der Welt gemeldet, und sie sollte an diesem Samstag zum ersten Mal antreten.
Schon zum Saisonbeginn, wenngleich kurz nach der Meldefrist, hatten die Düsseldorfer um ihren Sponsor Wadim Rosenstein verkündet, dass sie sich aus Baden-Baden Fabiano Caruana geangelt haben. Seit einigen Tagen ist der Weltmeister Ding Liren ebenfalls ein Düsseldorfer. Beide sollen das Team in der kommenden Serie noch einmal verstärken – nach Möglichkeit in der Schachbundesliga.
Die Frage war bislang, sind all die Düsseldorfer Supergroßmeister von Nepo über Pragg bis zu Jorden van Foreest nur gemeldet, oder spielen sie wirklich? Die Antwort haben die Düsseldorfer jetzt gegeben. Zu ihrem ersten Zweitligamatch beim einzigen potenziellen Aufstiegskonkurrenten Bad Emstag/Wolfhagen traten sie unter anderem mit zwei WM-Kandidaten an. Praggnanadhaa, Vidit&Co. bescherten den Rheinländern einen 7,5:0,5-Sieg.
Der dritte Spieltag der Schachbundesliga:
Mit der Bürde eines 0:1-Rückstands und einer kampflos verlorenen Weißpartie gingen die Bayern ins Match. Nicht die Spieler aus Alpennähe, stattdessen der Iraner Pouya Idani hatte es wetterbedingt nicht geschafft, rechtzeitig anzureisen.
Der Sieg von Topscorer Valentin Dragnev (2,5/3), der es jetzt in die österreichische Forbes-Liste geschafft hat, war nicht genug für die Bayern, um daheim etwas Zählbares einzuheimsen. Dafür sorgte auf Dresdner Seite der in Galaform befindliche Bald-Großmeister Roven Vogel. Alle anderen Partien endeten remis.
Nach zwei 3,5:4,5-Niederlagen zum Auftakt gelingt es den Dresdnern damit, den Spieß umzudrehen. Zu den zwei eminent wichtigen Punkten kommt die Gewissheit, dem FC Bayern den erwünschten Traumstart inklusive frühzeitiger Klassenerhaltsgewissheit vermasselt zu haben.
„Wer Lister nicht schlägt, steigt ab“, hatte Gerald Hertneck vor dem Kampf orakelt. Tja. Gut möglich, dass Markus Lammers diese Worte die Portion Extramotivation beschert haben, die ihm half, den einstigen Top-50-Großmeister zu besiegen. Am Damenflügel hatte sich Lammers den schwarzen a-Bauern einverleibt, was dessen weißes Pendant zum Freibauern verwandelte. Alle schwarzen Versuche, auf der anderen Seite des Brettes Gegenmaßnahmen zu inszenieren, fruchteten nicht.
Nicht nur Lammers gewann, auch Jakob Pfeundt, der Dominik Horvath mit Schwarz aus der Eröffnung heraus überspielte, sowie Dennes Abel, der eine kuriose Partie – mit zwischenzeitlich einem Turm weniger – gegen Stefan Kindermann für sich entschied: die ersten drei gewonnen Partien für die Hannoveraner in dieser Saison.
Auf Münchner Seite triumphierten Pavel Eljanov, Arthur Kruckenhauser und Julian Jorczik, sodass am Ende die Bayern und die Niedersachsen die Punkte teilten. Für die Gastgeber klar zu wenig im ohnehin knappen Kampf um den Klassenerhalt, für die Gäste ein erstes Ausrufezeichen. Die rote Laterne haben sie nun vorerst an Mülheim übergeben.
Für Vincent Keymer ging es um mehr als darum, seiner Mannschaft im Kampf um die Meisterschaft zu helfen. Am Horizont sieht Keymer noch die (sehr kleine) Chance, sich per Rating fürs Kandidatenturnier 2024 zu qualifizieren. Vor diesem Hintergrund war der Spieltag auch ein Fernduell zwischen Keymer und dem nach Rating knapp vor ihm liegenden Parham Maghsoodloo vom SC Viernheim, der ebenfalls noch aufs Kandidatenturnier hofft.
Für Keymer gilt: Um die Chance zu wahren, müssen Punkte in der Bundesliga her, am besten zwei aus zwei Partien. Den ersten sicherte sich der 19-Jährige am Samstag gegen Antonios Pavlidis, der in einem königsindischen Gefecht lange auf Augenhöhe dagegenhielt.
Mit diesem Sieg sprang Keymer in der Live-Weltrangliste von Rang 14 auf 12. Er hat die Schachfreunde Praggnanandhaa sowie Maghsoodloo überholt und steht jetzt hinter seinem OSG-Mannschaftskameraden Viswanathan Anand.
Dass es für den Titelverteidiger als Mannschaft gut läuft, deutete sich schon ausgangs der Eröffnung an, als Arkadij Naiditsch einen überraschenden Springereinschlag auf c3 aufs Brett stellte. Wenig später war Alexander Donchenko auf die Siegerstraße eingebogen.
Nicht vollends belohnt wurde die sehr deutsche und vergleichsweise junge Aufstellung des 17-fachen Meisters. Oft als „Weltauswahl“ bezeichnet, traten die Baden-Badener mit zwei deutschen Nationalspielern (Keymer, Donchenko), einem deutschen Staatsbürger (Arkadij Naiditsch) und einem der großen Talente des deutschen Schachs (Bennet Hagner) an.
Hagner, neu im Kader, hatte bei seiner Bundesligapremiere das Nachsehen. Gegen den erfahrenen Großmeister Romuald Mainka reichte es schon, einmal den falschen Plan zu wählen. Der Zentrumsvorstoß des 15-Jährigen lief in einen fast schon entscheidenden Ausheber am Königsflügel.
Nach dem Traumstart des Aufsteigers SC Ötigheim jetzt der erste Dämpfer – gegen Mitaufsteiger Heimbach-Weis-Neuwied, der seinerseits deutlich gemacht hat, dass er gekommen ist, um zu bleiben. Beide Mannschaften liegen nach drei Spieltagen mit 4:2 Punkten mehr als im Soll.
Für die Ötigheimer hatte es mit einem schnellen Sieg von Hing Ting Lai am achten Brett gut angefangen. Aber dann schlug Heimbach doppelt zurück. Jan Krejci und Lukas Winterberg gewann, ersterer begünstigt durch ein taktisches Übersehen von Matthieu Cornette.
Beim Stande von 3:2 für Heimbach-Weis-Neuwied liefen noch drei ausgeglichene Partien an den ersten drei Brettern. In keiner dieser Begegnungen sollte das Pendel entscheidend in die eine oder andere Richtung ausschlagen.
Gar nicht einmal wegen des Wetters, eher wegen des am Jahresende übervollen Terminkalenders hatten es die Kieler schwer, ihre Spieler an die Bretter zu kriegen. Und einer von denen, der Spitzenmann, kam zudem mit dem Gepäck eines letzten Platzes beim „Tournament of Peace“ in Zagreb. Ivan Cheparinov hatte ein Grottenturnier gespielt, bei dem er zudem als einer derjenigen aufgefallen war, die nicht daran glauben mochten, dass es beim überlegenen Sieg von Hans Niemann mit rechten Dingen zugegangen war.
Gepäck hin oder her, zwölf Züge klassisches Französisch waren gespielt, da klingelte es bei Matthias Blübaum auf h7. Wer seine Datenbank und die Cloud fragte oder Blübaums herausgeblitzte Züge sah, der wusste, es handelt sich um eines dieser langen, forcierten Abspiele, die der deutsche Nationalspieler speziell mit Schwarz mag. Nur geriet er in diesem Abspiel in Straucheln, und Cheparinov gelang es noch vor der Zeitkontrolle, sich vom Gepäck eines missratenen Rundenturniers zu befreien.
Alexander Graf, Abhijeet Gupta und Mihal Krasenkow drehten aus Deizisauer Perspektive den Spieß um. Trotzdem war beim Stande von 4:2 für die Gastgeber nicht klar, ob dieser Kampf einen Sieger finden würde. Szymon Gumularz drückte gegen Gata Kamsky, und Ashot Parvanyan hatte sich gegen Andreas Heimann eine Mehrqualität erkämpft.
Heimann hielt, Kamsky nicht. Nach 100 Zügen endete diese längste Partie des Vergleichs, der zu diesem Zeitpunkt schon entschieden war. Deizisau gehört jetzt zu den drei verlustpunktfreien Teams. Die Kieler, 0:6 Punkte, haben Anlass, besorgt auf die Tabelle zu schauen.
Frederik Svane war nicht nur bei der Europameisterschaft als Eröffnungssekundant Vincent Keymers Helfer. Jetzt hat er dem deutschen Ausnahmespieler auch zum Sprung auf Rang 12 in der Live-Weltrangliste verholfen. Weil Svane eine wilde, in hektischer Zeitnot ausgekämpfte Schlacht gegen Parham Maghsoodloo rettete, hat Keymer am Samstagabend den Iraner in der Weltrangliste überrundet.
Den Viernheimern tat dieses Unentschieden ebenso wenig weh wie die Solidität des anderen Svane-Bruders Rasmus, der am ersten Brett gegen den ehemaligen WM-Kandidaten Shakhriyar Mamedyarov nichts anbrennen ließ. „Oben war heute nicht viel drin, also haben wir unten gepunktet“, sagt Mannschaftsführer Stefan Martin zu den Kräfteverhältnissen an diesem Spieltag.
Die Hamburger vermochten ihren Coup vom 4:4 gegen Baden-Baden nicht zu wiederholen. Diesmal gelang ihnen kein Partiegewinn, drei Bretter gingen verloren. Viernheim marschiert derweil weiter, liegt nach Brettpunkten vorne, nach Mannschaftspunkten aber noch gleichauf mit Deizisau und Kirchweyhe.
Teammanager Spartak Grigorian hat die Nacht vor dem Kampf damit verbracht, Kompensation für drei ausgefallene Großmeister zu finden. Das Trio war am Münchner Flughafen hängengeblieben – zusammen mit Pentala Harikrishna, der ebenfalls von München nach Bremen reisen wollte, um dort auf der Gegenseite für Solingen anzutreten. Harikrishna fand in der verschneiten bayerischen Landeshauptstadt den einzigen Zug. Er setzte sich in einen Nachtbus und fuhr nach Frankfurt, um von dort nach Bremen zu fliegen. Die drei Bremer Großmeister blieben derweil in München hängen. Sie warteten vergeblich auf einen Anschlussflug.
Aber Grigorian fand Kompensation. Anstelle des in München gestrandeten Trios nominierte er sich selbst, dazu Lara Schulze sowie Lucas van Foreest, der kurzfristig aus London einfliegen wollte…fliegen, oje. Der Flug des Niederländers verspätete sich um drei Stunden, und sein Brett im Weserstadion blieb unbesetzt. Die Solinger begannen mit einem kampflosen 1:0 im Rücken.
Und das ging fast so weiter. Dies, augerechnet am Großkampftag mit Jugendturnier und mehreren Bremer Mannschaften im Einsatz, war aus Bremer Sicht nicht der Tag, um den Solingern in der Bundesliga einen großen Kampf zu liefern. Ein Brett nach dem anderen ging verloren. Nur Lara Schulze kämpfte erfolgreich gegen den Mehrbauern des ehemaligen Coaches der Frauen-Nationalmannschaft. Wäre Alexander Naumann noch im Amt, er würde nach dieser Partie noch ernsthafter erwägen, ob Lara Schulze neben dem grün-weißen nicht auch ins schwarz-rot-goldene Team gehört.
Bei vollem Brett mit dem König im Zentrum herumturnen? Möglich ist das, wie Borki Predojevic auf Kirchweyher Seite gegen den stets aggressiv gestimmten Thomas Beerdsen zeigte. Das war der erste Sieg für Kirchweyhe, dem zwei weitere von Robert Markus und Zoran Jovanocic folgen sollten.
Bei zwischenzeitlichen Stand von 4,5:1,5 für die Mannschaft aus dem Bremer Umland war der Kampf entschieden, sollte aber noch lange dauern. Am Spitzenbrett insistierte auf Mülheimer Seite Daniel Dardha, mit Läuferpaar vs. Springerpaar das Ergebnis für sein Oktett abzumildern, was schließlich gelang.
Kirchweyhe ist mit 6:0 Punkten und 16,5 Brettpunkten jetzt erster Verfolger des Spitzenreiters Viernheim. Die Mülheimer, deren Top-6-Spieler bislang zwei Einsätze verzeichnen, tragen die rote Laterne: 0:6, 6,5 Brettpunkte.