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Vorentscheidungen und Spekulationen (12. Spieltag)

Auf der Zielgeraden der Saison 2022/23 scheint dem SC Viernheim die Puste auszugehen. Nach einem neuerlichen Punktverlust, diesmal gegen Hamburg, liegt die Truppe aus Südhessen drei Spieltage vor Schluss jetzt drei Zähler hinter der OSG Baden-Baden. Der Titelverteidiger gewann bei den SF Berlin und scheint auf bestem Wege zu sein, am Ende abermals den Pott zu holen.

Am Tabellenende zeichnet sich mehr und mehr ab, dass Deggendorf und Schönaich für Liga zwei planen können. Wer die beiden anderen Abstiegsplätze belegt, das ist so umkämpft wie selten. Nach 12 Spieltagen stehen der FC Bayern und die SF Berlin auf den Abstiegsrängen, aber der Münchener SC ebenso wie die beiden Bundesliga-Dinosaurier aus Hamburg und Mülheim haben noch lange keinen Anlass, sich entspannt zurückzulehnen.

Der 12. Spieltag:

Den Preis für die wildeste Partie des 12. Spieltags verdienten sich Vincent Keymer (l.) und Kacper Piorun. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband

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Gäbe es in der Schachbundesliga einen Ausrichterpreis, die Berliner wären ein heißer Kandidat, der repräsentativen Stätte wegen, auch der medialen Begleitmusik wegen, die diejenigen Zuschauer mit Eindrücken aus dem Willy-Brandt-Haus versorgte, die nicht dabei sein konnten. Punkte allerdings gab es für die in Abstiegsnot schwebenden Hauptstädter im ersten Kampf des Wochenendes nicht zu holen.

Gegen die Baden-Badener Übermannschaft hielten die Berliner das Match bis in die Zeitnot in der Waage. Der erste Dominostein fiel, als Max Hess gegen Alexander Donchenko seine ohnehin schwierige Stellung taktisch entglitt. Und da sah es an zwei anderen Brettern auch schon düster für Berlin aus.

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Ob sich (linkes Diagramm) Felix Blohberger darauf verlassen hatte, dass 27...Sh5! wegen der Bauerngabel 28.g4 nicht geht? Falls ja, dann hatte er 28...Sxf4 nebst Gabeldrohung übersehen. Auf weißer Seite fällt jetzt ein Bauer um und die Integrität der Königsstellung noch dazu. Max Hess (rechtes Diagramm) hatte in Zeitnot gewiss übersehen, dass 25...Sd6 die ohnehin schwierige Partie verliert: 26.Le5 und aus. Schwarz hat zwar die Ausrede ...Dc1+, um den Gaul zu entfesseln, aber wenn der Gaul zieht, hängt wegen Dd8+ auf g5 gleich der nächste.

Gäbe es einen Preis für die wildeste Partie des Tages, er ginge an Kacper Piorun und Vincent Keymer, die nach sechs Stunden Spielzeit angeregt die vorangegangene Partie analysierten. Das Brett dieser beiden war stets das meistumlagerte gewesen, auch wenn für Ottonormalschachspieler kaum verständlich erschien, was auf diesem Brett passierte.

Aber um das zu erhellen, gab es ja als Kommentator Robert Rabiega vom SF-Berlin-Lokalrivalen König Tegel. Mit seiner Mannschaft in der vergangenen Saison abgestiegen, hatten die SF Berlin Rabiega verpflichtet, um den Zuschauern das Geschehen auf den Brettern zu erläutern. Wäre Rabiegas Kommentar mit illustren Gästen (Schirow!) gestreamt worden, das wäre das Sahnehäubchen gewesen. Immerhin: Am Sonntag planen die Berliner noch einen zusätzlichen Liveticker auf ihrer Vereinswebsite und der des Berliner Schachverbands.

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Robert Rabiega spielt nicht mehr Bundesliga, kommentiert an diesem Wochenende aber in Berlin. Alexei Schirow assistierte, nachdem er seine Partie schnell remis gegeben hatte. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband

SF-Berlin-Vorstand Rainer Polzin zeigte sich trotz der zu erwartenden Klatsche gelöst. Mit einem Sieg über Baden-Baden hatte er ohnehin nicht gerechnet. Die Chance seiner Mannschaft, die Klasse zu halten, taxiert Polzin auf „knapp über 50 Prozent“. Der Großmeister kalkuliert, eine Mannschaft werde aus der Bundesliga zurückziehen (welche, sagte er nicht), und dann könnten die SF Berlin sogar als 13. der Abschlusstabelle drinbleiben.

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Die Mannschaft von Rainer Polzin (rechts, mit Sergej Movsesian) braucht dringend Punkte - und spekuliert schon, ob womöglich nur drei statt vier Teams absteigen. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband

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Dresden, jetzt Tabellenfünfter, bleibt die Mannschaft der Stunde in der Schachbundesliga. Stellvertretend für die Siegesserie der Dresdner am Saisonende steht der einstige U16-Weltmeister Roven Vogel, der am zweiten Brett gegen Schönaichs Denis Kadric den dritten Sieg in Folge landete (und dem bis dahin ungeschlagenen montenigrinischen GM die erste Saisonniederlage zufügte).

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Wie in Vogel vs. Kadric waren die stark aufgestellten Schönaicher an sieben der acht Bretter nominell favorisiert. Und es war knapp. 3,5:3,5 stand es ausgangs der Zeitnotphase, und am ersten Brett lieferten sich M und Marin Bosiocic (Schönaich) und Mateusz Bartel ein undurchsichtiges Gefecht, in dem zwar Schwarz über weite Strecken am Drücker war, das aber dennoch friedlich hätte enden sollen – wäre nicht Bosiocic im 50. Zug entscheidend gestrauchelt.

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Und jetzt 51.fxe3 oder sogar 51.Txe3, und Weiß bleibt im Geschäft. Stattdessen mit 51.f3? den e-Bauern leben lassen, endet tödlich.
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"Auf e3 musste rausknipsen, dann ist alles ok": Mateusz Bartel (l.) und Marin Bosiocic (r.) nach der Partie unter den immer noch wachsamen Augen von Schiedsrichter Bernhard Riess. | Foto: Paul Meyer-Dunker/Berliner Schachverband

War’s das schon, bye-bye Schönaich? Es sieht fast danach aus. Vielleicht ließe sich ein theoretisches Klassenerhalt-Szenario errechnen, aber praktisch kann sich der Tabellenletzte jetzt auf den Abstieg einrichten.

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Nach seiner bärenstarken Europameisterschaft mit IM-Titel inklusive GM-Norm durfte der deutsche U18-Meister Marius Fromm jetzt erstmals für seine Kieler in der Bundesliga ran – ein Indiz für eine starke zweite Reihe im Kieler Kader. Und Fromm schickte sich an weiterzupunkten, bis ihm in der Weißpartie gegen Alexandre Dgebuadze im 31. Zug ein Missgeschick unterlief, das es dem mit einer Minusqualität kämpfenden Schwarzspieler erlaubte, die Position erfolgreich zu verriegeln.

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Weiß darf hier vieles tun und gewinnt wahrscheinlich. Was er nicht tun darf, ist das, was er getan hat: 31.La3? gibt Schwarz die Gelegenheit, per 31...La4 nebst ...b5 die einzige offene Linie zu verriegeln.

Für Remagen war diese Rettung die Basis für zwei Big Points in einem knappen Kampf. Als nach 54 Zügen Antonios Pavlidis sein Damenendspiel zum Sieg geführt hatte, stand damit das 5:3 für den Aufsteiger fest. Der Klassenerhalt ist mit nun 10:14 Punkten nicht besiegelt, aber greifbar.

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Mit Erscheinen der neuen Eloliste hat Deutschland einen neuen 2600-Elo-Großmeister: Frederik Svane hat mit einer starken Europameisterschaft inklusive Qualifikation für den World Cup diese Marke geknackt – und gedenkt nicht stehenzubleiben. Das war am Samstag im Kampf seiner Hamburger gegen den Tabellenzweiten klar zu sehen. Svane spielte auch mit Schwarz beherzt nach vorne, kann sich aber bei Arik Braun auf der anderen Seite des Brettes bedanken, dass der volle Punkt nach Hamburg ging. Ein taktischer Aussetzer Brauns in kritischer Lage beendete das Gefecht zugunsten des 19-Jährigen.

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Das Schild trügt: Frederik Svane ist jetzt ein 2600er, etwas, das Arik Braun schon war und Georg Meier seit langem ist. Meier blieb es vorbehalten, einen angehenden 2600er in Hamburgs Reihen nach dessen Erfolgsserie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. | Foto: Stefan Spiegel/SC Viernheim

Während eine Partie nach der anderen unentschieden endete, liefen die Viernheimer diesem Rückstand hinterher. Aber sie hatten ja einen Spezialisten für Anti-Jugendstil-Schach in ihren Reihen: Georg Meier bekam es am zweiten Brett mit Leon Luke Mendonca (17) zu tun, der zuletzt Erfolg an Erfolg gereiht hatte. Nach seinem Sieg in Bad Wörishofen (7,5/9, ungeschlagen) und seinem Sieg beim Hit-Open in Slowenien mit sagenhaften 9/9 nähert sich auch Mendonca den 2600. In der Bundesliga aber gegen Meiers humorlos vorgetragenes Positionsspiel stand der junge Inder schnell mit dem Rücken zur Wand und sollte im Lauf der Begegnung keine Gelegenheit bekommen, sich von dieser Wand zu lösen.

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32.La3? war schlau aus-, aber nicht zu Ende gedacht: Schlägt Schwarz den Läufer, kommt Dh8+ nebst Se5+. Aber Schwarz schlägt den Läufer nicht. Stattdessen: 32...Txf2+ nebst ...Th2+, und Weiß kann aufgeben.

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Von Anfang an mussten die Bayern im Match gegen die favorisierten Klingenstädter damit leben, dass es um ihre beiden besten Spieler schlecht stand. Parham Maghsoodloo war am ersten Brett in zweischneidiger Lage ein taktischer Fehler passiert, und Jaime Santos Latasa gab am zweiten Markus Ragger die Gelegenheit, den königsindischen Traum zu leben, eine positionelle Thema- und Musterpartie für Schwarz, deren Feinheiten der fürs Münchner und fürs ChessBase-Publikum kommentierende Klaus Bischoff vergnügt sezierte.

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23...Sc7 (links) war nicht gut. Jetzt kommt garstig 24.Dc4 mit Doppelangriff, der Anfang vom Ende. Am Brett daneben lebte derweil Markus Ragger den königsindischen Traum: 13...Lxc3 nebst ...f4 nebst ...e5 ..nebst ...g5 nebst Sturm am Königsflügel nebst weißer Kapitulation (ganz so einfach war es dann doch nicht, aber im Prinzip).

Sebastian Bogners Sieg am sechsten Brett über Jonas Roseneck war nur Ergebniskorrektur. Die Lage bleibt heikel für den FC Bayern, dem allerdings ein vermeintlich leichtes Restprogramm helfen mag, die nötigen Punkte noch einzufahren. Womöglich kommt es am 15. und letzten Spieltag zum Münchner Abstiegsendspiel gegen den SC 1836.

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Ob Team Nepo schon fertig ist mit der Vorbereitung auf das WM-Match? Oder ist am Ende in diesem Jahr Peter Leko gar nicht Teil des Teams? Wie immer es sich verhalten mag, in den Reihen der SF Deizisau (deren Verabredung mit Sponsor Grenke unlängst abgelaufen ist) tauchte am ersten Brett überraschend der Ungar auf, um seine erste Turnierpartie nach drei Jahren zu spielen. Und was für eine! Zwar übersah Leko im 32. Zug einen Ausknipser, aber das gab ihm nur die Gelegenheit für eine weitere 40-zügige Technik-Demonstration in einem zwar gewonnenen, aber praktisch schwierigen Endspiel.

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Schau an, wer da sitzt: Im Kulturhaus Milbertshofen spielte Peter Leko (vorne) seine erste Turnierpartie seit drei Jahren. | Foto: Gerhard Riewe/Twitter

Gegen die zweite Mülheimer Garnitur (ohne Navara, Fridman, Moiseenko, etc.) wäre ein Einsatz des Keymer-Coaches und ehemaligen Vizeweltmeisters allerdings nicht nötig gewesen. Drei Unentschieden gestanden die Schachfreunde aus Deizisau ihren Gegenspielern aus dem westlichen Ruhrgebiet zu, mehr nicht.

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31.Teh5! und aus.

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Mit dem drohenden Abstieg vor Augen, hätten die Deggendorfer wahrscheinlich lieber gegen eine Mannschaft gespielt, für die es um nichts mehr geht. Stattdessen ging es gegen Werder Bremen, das zuletzt in Not geraten und weiterhin nicht in der Position war, Geschenke zu verteilen.

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Nach dem 5:3 der Nordlichter dürfte feststehen, dass der SV Werder mit nun 12 Punkten auch in der kommenden Saison in der höchsten Spielklasse antreten darf. Umgekehrt sieht es bei Aufsteiger Deggendorf aufs. Der Abstieg steht mit weiterhin vier Punkten zwar nicht fest, aber die Rettungschance ist allenfalls theoretischer Natur.

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Jonathan Carlstedt, heißt es, hört als Werder-Coach auf. Spielen tut er offenbar weiterhin, und das sehr gut. Das raffinierte 25...b5! bedeutet dem weißen Leichtfigurenduo am Damenflügel, dass es dort unglücklich steht. Nach 26.axb5 cxb5 27.Sxb5 a4 war es schon fast um Weiß geschehen.

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Ganz einfache Rechnung vor dem Match zwischen den Münchnern und der Truppe aus dem Bremer Umland: Wer gewinnt, hat sich Luft verschafft und beste Chancen drinzubleiben, wer verliert, steckt erstmal unten drin.

Unter derart zugespitzten Bedingungen den typischen Schach-Fehler „zweiter Zug vor dem ersten ausgeführt“ zu begehen, ist mehr als ärgerlich. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach war Pavel Eljanov (München) genau das passiert, als ihm plötzlich Velimir Ivic einen Läufer abklemmen konnte. Der Ukrainer war drauf und dran, ausreichende Kompensation für die Minusfigur zu finden, musste am Ende aber doch die Waffen strecken.

Zum schlechten Match-Ergebnis gesellte sich aus Münchner Sicht eine gute Nachricht: Supertalent Leonardo Costa hat sich nach verpatztem Einstand (vier Nullen am Stück) endgültig in der höchsten Spielklasse akklimatisiert.

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Velimir Ivics Punkt gegen Pavel Eljanov bedeutete für den SK Kirchweyhe einen Riesenschritt Richtung Klassenherhalt. | Foto: Michael Reiß/Münchener SC



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