Kieler Personaloffensive: Bundesligapremiere für Esipenko und Niemann
Viernheim und Baden-Baden im Gleichschritt mit weißer Weste, Solingen und Deizisau knapp dahinter. So war es vor dem siebten Spieltag, so ist es danach. Der SK Doppelbauer Turm Kiel überraschte derweil mit einer Personaloffensive: Erstmals in dieser Saison kamen die Spitzengroßmeister Andrey Esipenko (Russland) und Hans Moke Niemann (USA) zum Einsatz. Speziell Esipenko führte sich bei seiner Bundesligapremiere prächtig ein.
Viernheimer Vogelperspektive. | Foto: Stefan Spiegel
SF Deizisau – BCA Augsburg 7,5:0,5
Rustem Dautov stand schnell gut, Matthias Blübaum würde Youngster Leonardo Costa einer ausgiebigen Massage unterziehen, so viel war bald klar. Aber was war das für ein Najdorf-Sizilianer, den Vincent Keymer am ersten Brett zum Vortrag brachte? Missraten oder so gewollt?
Am Ende war die Antwort auf diese Frage nicht relevant, alle Partien endeten entsprechend der Spielstärke der Kontrahenten.
Alle? Nein. Die Augsburger können sich bei ihrem Bulgaren Velislav Kukov bedanken, dass er ihnen die Höchststrafe ersparte. Wie seine Kollegen an den anderen sieben Brettern war Kukov unter Druck geraten, aber Gata Kamsky verhedderte sich beim Versuch weiterzukommen und gab die Partie remis, ohne bei reduziertem Material und ausgeglichener Stellung einen zweiten Anlauf zu unternehmen.
OSG Baden-Baden – USV TU Dresden 5:3
Ein Duell der Bundestrainer gab es am fünften Brett zu besichtigen: Uwe Bönsch, der die deutsche Nationalmannschaft 2011 zur Europameisterschaft gecoacht hat, traf auf Jan Gustafsson, dem seine Premiere als Kapitän der Nationalmannschaft bei der Schacholympiade 2022 bevorsteht. Der gegenseitige Respekt dieser beiden Koryphäen war der Partie anzusehen: Nicht viel los, ein kurzes Abtasten, remis/20.
Fast genauso schnell, nach 23 Zügen nämlich, war Sergej Movsesian am achten Brett fertig. Sein glänzender Sieg über Philipp Richter legte Teil eins der Grundlage für den Baden-Badener Mannschaftserfolg. Für den zweiten Teil war Rustam Kasimdzhanov zuständig, der sich früh einen Mehrbauern erkämpft hatte und diesen sicher verwertete.
Dass es trotz eines klaren Verlaufs am Ende nach einem recht knappen Ergebnis aussah, verdanken die Dresdner ihrem einstigen U16-Weltmeister Roven Vogel. Der behielt gegen Alexander Donchenko in einem Spitz auf Knopf stehenden Doppelturmendspiel mit Läufern die Übersicht – und letztlich die Überhand.
SV Mülheim Nord – SK Doppelbauer Turm Kiel 3:5
Alle Augen waren auf die beiden Spitzenbretter der Nordlichter gerichtet. Erstmals in dieser Saison materialisierte sich ein Teil des Edelkaders, den Kiel für diese Saison gemeldet hat. US-Shootingstar Hans Moke Niemann besetzte das zweite Brett und Andrey Esipenko, größter Hoffnungsträger des russischen Schachs, das erste.
Esipenko machte sich sogleich daran zu demonstrieren, warum OSG-Chef Patrick Bittner unlängst vor den Kielern gewarnt hatte. Der Sieg des Russen über den gut 2600 Elo schweren Ukrainer Alexander Moiseenko sah nach Klassenunterschied aus.
Es sollte ein langes Match werden, aber weder beim Stand von 1,5:3,5 noch bei 2,5:3,5 oder 3:4 stand der Kieler Sieg infrage, sahen doch die verbliebenen Partien eher düster für die Gastgeber aus.
SV Werder Bremen – Hamburger SK 4,5:3,5
Übertragungsprobleme prägten diesen Nordvergleich. Die Zuschauer im Internet mussten sich erst fortwährend fragen, wie es denn nun steht, und schließlich, wie es ausgegangen ist. Eine Partie allerdings war von keinerlei Problemen geprägt – außer auf Seiten von Bremens Alexander Markgraf. Der hatte gegen Frederik Svane mehr zu tun, als ihm lieb war. Der U16-Weltmeister zeigte sich von der Niederlage am vergangenen Spieltag unbeeindruckt und hat nun wieder GM-Norm-Kurs gesetzt.
Seiner Mannschaft ersparte das die Niederlage nicht, die unter anderem auf überzeugende Bremer Leistungen an den Spitzenbrettern zurückzuführen ist. Alexander Areshchenko und Roeland Pruijssers zeigten Rasmus Svane respektive Luis Engel ihre Grenzen auf. Weil am siebten Brett auch noch Alexander Wachinger punktete, konnten sich die Bremer sogar noch die Niederlage ihres Jungstars Collin Colbow am achten Brett erlauben.
Aachener SV – FC Bayern München 2:6
Offenbar geht es auch ohne Schweden und mit nur einem Spanier, stattdessen mit den Routiniers. Klaus Bischoff, der zumindest teilweise in Schachkommentatorenfach gewechselt ist, sowie Michael Bezold sind lange nicht an den Brettern der Bundesligamannschaft des FC Bayern gesehen worden. In Aachen waren beide mit von der Partie, und dass Bischoff nach 65-zügiger, fast erfolgreicher Verteidigung gegen Thibaut Vandenbussche sein Endspiel doch noch verlor, fiel nicht ins Gewicht.
Während die Bayern weiter oben mitmischen, reichte es für die Aachener wieder nicht zu einem Punktgewinn. Auch für Spitzenbrett Christian Seel war diesmal nichts zu holen. Nachdem Seel in der vergangenen Doppelrunde mit zwei halben Punkten gegen die Elitegroßmeister David Navara und Kirill Shevchenko geglänzt hatte, fraß er diesmal einen scheinbar einstehenden Bauern auf c3, der sich als von Niclas Huschenbeth heimtückisch vergiftet entpuppte.
Düsseldorfer SK – Münchener SC 1836 3,5:4,5
Wer gegen den Münchener Aufsteiger punkten will, der muss die bärenstarken Spitzenbretter der Bayern neutralisieren. Den Düsseldorfern gelang sogar mehr als das. Nachdem Andrey Orlov gegen Alexandar Indjic gezeigt hatte, wie die Dame gegen den Turm gewinnt, nachdem Andreij Volotikin Gawain Jones die erste Saisonniederlage zugefügt hatte, obwohl der Engländer beinahe ins Remis entschlüpft wäre, stand fest: Düsseldorf siegt an den oberen vier Brettern 3:1 gegen favorisierte Münchener.
Nur stand da schon länger fest: München gewinnt den Gesamtvergleich. An den unteren vier Brettern, eigentlich ihre Problemzone, holten die Münchener 3,5 Punkte – und können sich über zwei eminent wichtige Zähler gegen einen Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt freuen.
SC Viernheim – SF Berlin 6,5:1,5
Viernheim marschiert weiter, und auch hier lag die erste Höchststrafe der Saison in der Luft. Ein 8:0 war möglich, hätte Dennis Wagner einen alles andere als offensichtlichen Gewinn gesehen – und Josefine Heinemann nicht Gespenster. Sie schien gegen Leon Lucas Finn Carmesin ungefährdet ihrem dritten vollen Punkt in Folge entgegenzusegeln. Stattdessen ein Malheur, und statt der Eins stand am Ende eine Null.
Was natürlich den hohen Sieg des Tabellenführers nicht gefährdete. Speziell die oberen Viernheimer Bretter sind eine Macht. An diesem Spieltag zeigte sich, dass das auch gilt, wenn Shakh Mamedyarov fehlt. 5:0 an den ersten fünf Brettern gegen gewiss nicht schwache Berliner sind eine ordentliche Ansage.
In der letzten laufenden Partie hatte es Lars Thiede gegen Sébastien Mazé in der Hand, für Berlin Ergebniskorrektur zu betreiben. Aber ausgangs der Zeitnotphase verschlechterte sich sein Endspiel sukzessive, und der wacker kämpfende Thiede musste sich geschlagen geben.
SG Solingen – SK König Tegel Berlin 6:2
Als das zu erwartende 1.d4 d5 2.c4 Sc6 auf dem Brett stand, griff Erwin l’Ami erst einmal zum Wasserglas. Und frohlockte wahrscheinlich innerlich. Darauf war der Giri-Sekundant vorbereitet, schließlich gilt Robert Rabiega als Spezialist und treuer Liebhaber des Tschigorins – bedenklicher Ergebnisse gegen großmeisterliche Konkurrenz zum Trotz.
Dann ging es Schlag auf Schlag, nach 23 Zügen war alles vorbei, und wer sich auf die Suche begibt, an welcher Stelle Rabiega entscheidend verbessern sollte, der spielt die Partie von hinten nach vorne durch – und landet bei 2…Sc6.
Der ungleiche Vergleich hätte weniger deutlich ausgehen können, wäre Martin Brüdigam nicht ein arges Missgeschick unterlaufen. Der IM, der eine prächtige Saison spielt und schon einen 2600-Skalp an seinen Gürtel geheftet hat, war drauf und dran, sich den zweiten zu sichern, den von Max Warmerdam. Aber dann…