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Rück- und Ausblick am Ende einer Ausnahmesaison

Welche Spieler sind verfügbar? Welche Spieler sind nach EU-Standard geimpft? Liegen alle Visa vor? Können Spieler aus Hochrisikogebieten teilnehmen? Solche und andere Fragen beschäftigten nicht nur die Verantwortlichen des SC Viernheim vor dem großen Bundesligafinale, mit dem jetzt in Berlin die 2019 begonnene Saison endete - für Viernheim mit einem guten fünften Platz. "Eine unter den schwierigen Umständen angemessene Leistung", schreibt Stefan Spiegel, der aus Viernheimer Sicht in sechs Kapiteln auf die Saison sowie ihr Finale zurückblickt - und einen Ausblick auf das wagt, was kommt.

Shakhriyar Mamedyarov hütete in Berlin das erste Brett des SC Viernheim. | Foto: Johannes Winkler

1) Rückblick: Mehr als ein Jahr bis zum Wiedersehen

Stefan Spiegel berichtet aus Berlin. | Foto: SC Viernheim
Viernheims Mannschaftsführer Stefan Martin (l.) und Dr. Stefan Spiegel, Autor dieser Zeilen, beim "Bundesliga-Meisterschaftsgipfel" im Herbst 2020 in Karlsruhe. | Foto: Christian Bossert/Schachzentrum Baden-Baden

Am Donnerstag, 12. März 2020, wurde die laufende Saison der Schachbundesliga unterbrochen. Diese Nachricht kam angesichts der lokal und global zunehmend komplizierten Corona-Lage nicht völlig überraschend, war jedoch insbesondere für den Schachclub Viernheim eine große Enttäuschung. Wir wollten am folgenden Tag eigentlich unsere anreisenden Spieler in Viernheim begrüßen wollen, um am Wochenende zur großen Heimrunde die beiden Spitzenvereine aus Baden-Baden und Deizisau zu empfangen. Stattdessen waren nun alle Vorbereitungen umsonst, den Spielern mussten wir mitteilen, ihre Reise nach Deutschland bzw. nach Viernheim erst gar nicht anzutreten, und alle Hotel- und Restaurant-Buchungen sowie öffentliche Termine mussten wir absagen. Danach begann eine lange Zeit ohne echtes Spitzenschach, von mehr oder weniger offiziellen Online-Wettbewerben abgesehen.

Im Herbst 2020 erlaubte die pandemische Lage dann, kurz vor den neuen winterlichen Lockdowns, eine Ersatzveranstaltung für die Bundesligisten: eine Art Bundesliga-Meisterschaftsgipfel an den Brettern in Karlsruhe. Dem Schachclub Viernheim gelang es, alle seine Spitzenspieler nach Karlsruhe zu holen. Wir freuten uns über das Wiedersehen und die Möglichkeit zu "richtigen" Wettkämpfen vor Ort, wenn auch leider ohne Zuschauer.

Aus Viernheimer Sicht war es eine sportlich gelungene Veranstaltung. Wir wurden Deutscher Vizemeister. Nur den direkten Vergleich mit dem favorisierten Team des vielfachen deutschen Titelträgers OSG Baden-Baden verloren wir. Leider sollte es danach mehr als ein Jahr dauern, bis sich die Spieler und Mannschaften der Schachbundesliga im Oktober 2021 endlich wieder trafen.

2) Vorbereitungen: Wie bringen wir alle nach Berlin?

In zahlreichen Video-Konferenzen haben Organisatoren der Schachbundesliga und die Vereine über viele Monate eine Lösung gesucht, die sowohl die Sicherheit aller Beteiligten garantiert als auch eine sportlich ansprechende Veranstaltung ermöglicht. Nach diversen Planänderungen und Verschiebungen konnte dann endlich ein Termin Mitte Oktober 2021 festgelegt und ein Hotel in Berlin gebucht werden. Nicht völlig vermeiden ließen sich jedoch mehrere Anpassungen der coronabedingten Hygieneregeln und damit der Voraussetzungen für eine Teilnahme der Spieler sowie Überschneidungen mit anderen internationalen Wettbewerben.

Einige dieser Themen wurden kontrovers diskutiert, manche Maßnahme von den Vereinsvertretern und Funktionären unterschiedlich bewertet. Eine „optimale“ Lösung, die alle Beteiligten mit ihren indviduellen Interessen zufriedenstellt, konnte es unter den komplexen Herausforderungen einer Pandemie und regelmäßigen Anpassungen behördlicher Vorgaben nicht geben.

Neben dem Schachbundesliga e.V. (vertreten durch Markus Schäfer und Ulrich Geilmann) danken wir insbesondere den lokalen Ausrichtern in Berlin (stellvertretend seien genannt: Rainer Polzin, Lars Thiede, Jörg Schulz, Christoph Nogly) für das Bewältigen der organisatorischen und auch finanziellen Herausforderungen einer solchen Veranstaltung.

Für den Schachclub Viernheim und sein Team stellten sich im Sommer 2021 vor allem diese Fragen: Welche Spieler sind verfügbar und nicht schon anderweitig gebunden? Welche Spieler sind nach EU-Standard geimpft, für welche kann/muss eine solche Impfung noch organisiert werden? Liegen alle nötigen Visa vor bzw. können sie trotz Pandemie-Lage rechtzeitig ausgestellt werden? Werden außerhalb des EU-Raums vorgenommene Impfungen mit EU-Wirkstoffen in Deutschland anerkannt? Können Spieler aus Hochrisikogebieten teilnehmen? Können Spieler teilnehmen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können?

Dank intensiven Studiums der sich wiederholt ändernden behördlichen Vorgaben, Kontaktaufnahme mit den Grenzbehörden etc. haben wir es tatsächlich geschafft, alle eingeplanten Spieler des SC Viernheim nach Berlin zu bringen und einzusetzen. Und zumindest am Vorabend der Wettkämpfe war trotz Beachtung aller Corona-Auflagen sogar ein gemeinsames Mannschaftsessen möglich!

Gemeinsames Abendessen am Anreisetag
Gemeinsames Abendessen am Anreisetag | Foto: SC Viernheim

3) Tag 1: Auftakt gegen den großen Favoriten Baden-Baden

Der Auftakt am Donnerstag begann aus Viernheimer Sicht direkt mit dem sportlichen Höhepunkt, dem Match gegen den mutmaßlichen (und später tatsächlichen) alten und neuen deutschen Meister OSG Baden-Baden. Schnell wurde klar, dass die OSG nicht nur den nominell deutlich stärkeren Kader hat, sondern auch weniger als Viernheim durch Spielerausfälle geschwächt war. Obwohl unsere Spitzenbretter Shakhriyar Mamedyarov (gegen Maxime Vachier-Lagrave) und Vladimir Malakhov (gegen Viswanathan Anand) souverän remisierten, setzte sich insgesamt die höhere Klasse von Baden-Baden durch. Bei sechs Remisen und zwei Verlustpartien verloren wir insgesamt leistungsgerecht 3:5.

Die Spitzenbretter von OSG Baden-Baden und Schachclub Viernheim: Viswanathan Anand, Maxime Vachier-Lagrave, Vladimir Malakhov, Shakhriyar Mamedyarov (von links nach rechts).
Die Spitzenbretter der OSG Baden-Baden und des Schachclubs Viernheim: Viswanathan Anand, Maxime Vachier-Lagrave, Vladimir Malakhov, Shakhriyar Mamedyarov (v.l.). | Foto: SC Viernheim

Wenig später startete schon das zweite Match der für alle Beteiligten besonders anstrengenden Doppelrunden. Es ging gegen den späteren Vizemeister aus Deizisau. Die sportliche Ausgangslage war vergleichbar mit der am Vormittag, wobei der nominelle Abstand aber etwas geringer war. Und dies sollte sich auch im knapperen Ergebnis mit einer 3,5:4,5-Niederlage widerspiegeln. Shakhriyar Mamedyarov glänzte am Spitzenbrett mit einem Sieg über Gata Kamsky. Einer weiteren Gewinnpartie von Igor Kovalenko standen jedoch drei Verlustpartien gegenüber.
Das gemeinsame Abendessen des gesamten Temas war, bedingt durch den anspruchsvollen Austragungsmodus, anders als bei früheren Anlässen leider nicht möglich. Aber zumindest in kleinen Gruppen konnten sich die Spieler und Betreuer stärken bzw. mit einer frühen Nachtruhe auf den nächsten Tag vorbereiten.

Ganz ohne einen kleinen Snack nach der Abendrunde ging es dann aber auch nicht ...
Ganz ohne einen kleinen Snack nach der Abendrunde ging es dann aber auch nicht ... | Foto: SC Viernheim

4) Tag 2: Die Moral stimmt

Die Sorge, dass sich die erwartbaren Niederlagen zum Auftakt auf die Moral des Teams auswirken, erwies sich als unbegründet. Der morgendliche Wettkampf am Freitag gegen Mülheim-Nord war nominell etwa ausgeglichen. Beide Teams gönnten einigen der am Vortag doppelt geforderten Spielern eine Auszeit. Dank einer guten Leistung gelang den Viernheimern ein sicherer Sieg mit 5:3. Igor Kovalenko und Josefine Heinemann steuerten vollen Punkte bei, keine Partie ging verloren.

Zwischen den Runden wird Jörg Schulz (Deutsche Schachjugend) von Gabriel Pfenning (Schachclub Viernheim) interviewt
Gabriel Pfenning interviewt Jörg Schulz vom Ausrichter SF Berlin für den YouTube-Kanal des SC Viernheim. | Foto: SC Viernheim

Etwas enger wurde es am Nachmittag im Wettkampf gegen Solingen, dem späteren Vierten der Abschlusstabelle. Den vollen Punktgewinnen von Bassem Amin und Fabien Libiszewski stand eine Verlustpartie gegenüber, so dass es am Ende für einen knappen Sieg mit 4,5:3,5 reichte.
Trotz dieses Erfolgs im direkten Vergleich zeichnete sich bereits ab, dass der Vorsprung von Solingen in der Tabelle zu groß sein würde, um noch den vierten Platz zu erreichen. Anderseits bestand keine echte Gefahr mehr, dass uns die auf Platz sechs liegenden Kieler überholen würden.

5) Tag 3: Aachen eine Freude gemacht

Spieler und Betreuer vor dem Match gegen SV Aachen
Spieler:innen und Betreuer vor dem Match gegen SV Aachen. | Foto: SC Viernheim

Gegen das sympathische, sportlich in der Schachbundesliga weitgehend chancenlose Team des SV Aachen haben wir am Samstag die meisten Spitzenspieler geschont. Wir traten - wenn auch leicht favorisiert - zu einem offenen Wettkampf an. Auf Viernheimer Seite spielten mit Josefine Heinemann und Annmarie Mütsch die beiden einzigen Damen, die von allen Mannschaften fürs Saisonfinale nominiert waren. Nach wechselhaftem Verlauf und Gewinnpartien von Maximilian Meinhardt und Zigurds Lanka sowie zwei Verlustpartien stand am Ende ein 4:4, über das sich vor allem die engagierten Aachener Spieler sehr freuten.

Das nachmittägliche Duell mit Werder Bremen war sportlich für beide Teams nicht mehr besonders relevant, trotzdem stellten beide Mannschaften noch einmal einige ihrer Spitzenspieler auf. Am Spitzenbrett remisierte Shakhriyar Mamedyarov gegen Luke McShane, während Igor Kovalenko einen weiteren vollen Punkt einfuhr. Da das Viernheimer Team aber auch zwei Verlustpartien verbuchen musste, war das Endergebnis eine knappe Niederlage mit 3,5:4,5.

Annmarie Mütsch kommentiert ihre Partie für den YouTube-Kanal des Vereins
Annmarie Mütsch kommentiert ihre Partie für den YouTube-Kanal des Vereins. | Foto: SC Viernheim

In der abschließenden sonntäglichen Runde 15 war der Schachclub Viernheim aufgrund des Rückzugs von SV Lingen dann spielfrei, und beendete die Corona-geprägte Saison 2019/2021 mit einem soliden 5. Platz.

6) Abschluss und Ausblick

Nach dem Ende der anstrengenden sportlichen Wettkämpfe mit drei Doppelrunden in drei Tagen hatten das gesamte Viernheimer Team am späteren Samstagabend endlich wieder Gelegenheit, sich zu einem gemeinsamen, abschließenden Mannschaftsessen zu treffen. Zur Freude aller Beteiligten begleitete uns die komplette Delegation unseres Sponsors d-fine, der neben der Unterstützung für Viernheim auch die Endrunde in Berlin als Sponsor unterstützt hat.

Gemeinsames Abendessen der Teams vom Schachclub Viernheim und d-fine. | Foto: SC Viernheim
Gemeinsames Abendessen der Teams vom Schachclub Viernheim und d-fine. | Foto: SC Viernheim

Die Frankfurter Unternehmensberatung hat am Sonntag die "1. d-fine Offene Berliner Betriebsschachmeisterschaft" nicht nur ausgerichtet, sondern mit einer starken Mannschaft auch gleich den Titel gewonnen – herzlichen Glückwunsch! Ein anderes von unserem Sponsor unterstütztes Turnier war die "2. d-fine Offene Hochschul-Schnellschachmeisterschaft", die der Berliner Emil Schmidek gewann.

Alle beteiligten Vereine, Mannschaften, Spieler und Funktionäre blicken auf eine in vieler Hinsicht ungewöhnliche Saison zurück. Der Schachclub Viernheim ist insbesondere seinem Sponsor d-fine dafür dankbar, dass dessen Unterstützung auch in schwierigen und herausfordernden Zeiten niemals in Frage stand.

Die Schachbundesliga wird sich nach einigen Rückzügen (unter anderem des Drittplatzierten SV Hockenheim) und Zugängen spielstarker Aufsteiger in der neuen Saison 2021/2022 mit einem deutlich anderen Gesicht als vor der Corona-Pandemie zeigen. Bei den aktuell noch unbekannten Aufstellungen für die im Januar 2022 startende Saison wird es sicherlich noch einige Überraschungen und Änderungen bei den einzelnen Vereinen geben. Aus Sicht des Schachclubs Viernheim bleibt es spannend abzuwarten, welche sportlichen Ziele wir mit unserem ausgewogenen Spielerkader und dank der Unterstützung unseres Sponsors d-fine in Zukunft anstreben können.

 

Nation
AZE
Titel
GM
Elo
2734
DWZ
2732
Punkte
10
Partien
13
Nation
GER
Titel
WGM
Elo
2303
DWZ
2291
Punkte
5.5
Partien
6
Nation
GER
Titel
WIM
Elo
2291
DWZ
2255
Punkte
5.5
Partien
8

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