Auf Titelmission: Zwei mit weißer Weste
Zum Auftakt nach mehr als eineinhalb Jahren hat die OSG Baden-Baden gleich einen schweren Brocken aus dem Weg geräumt. Verfolger SC Viernheim, selbst noch mit Meisterschaftschancen und mit Spitzenspieler Shakhriyar Mamedyarov angetreten, unterlag den Baden-Badenern am neunten Spieltag der Saison 2019-21 mit 3:5. Während sich Viernheim nun aus dem Kampf um den ersten Platz verabschiedet haben dürfte, bleibt der SV 1930 Hockenheim den Baden-Badenern auf den Fersen. Die Großmeisterriege aus der Rennstadt besiegte den Hamburger SK 5:3. Hockenheim steht weiterhin als eine von zwei Mannschaften mit weißer Weste da. Außerdem gab es gleich zum Auftakt einen Klassiker zu sehen, den nur die Schach-Bundesliga ihren Fans bieten kann: Bayern München versus Werder Bremen.
Nur in der Schach(!)bundesliga: Werder Bremen gegen Bayern München. | Foto via Düsseldorfer SK
SC Viernheim – OSG Baden-Baden 3:5
Zum Match gegen Viernheim war Viswanathan Anand ja schon einmal angereist: im März 2020, kurz bevor die Liga erst den Doppelspieltag absagte und dann die Saison bis auf Weiteres unterbrach. Und Anand? Der war in Deutschland gestrandet. Getrennt von Frau Aruna und Sohn Akhil, musste der Exweltmeister unfreiwillig ein Vierteljahr in seiner Bad Sodener Wohung verbringen.
Jetzt ist er wieder da, und es ist abzusehen, dass er, wenn die Partien gespielt sind, planmäßig zurück zur Familie wird reisen können. Aber vorher gilt es, in Baden-Badener Diensten möglichst viele Punkte zu sammeln. Gegen Viernheim sammelte Anand mit den schwarzen Steinen einen halben Punkt gegen den Russen Vladimir Malakhov:
An den oberen vier Brettern stand besonders die Paarung zwischen Igor Kovalenko (Viernheim) und dem unlängst in die Top Ten der Welt vorgestoßenen Eloriesen Richard Rapport im Fokus der Beobachter. Aber anstatt wie üblich zu feuerwerken, spielten die beiden Herren klassisch, instruktiv, positionell, und es war der Elo-Außenseiter Kovalenko, der Druck entwickelte. Schließlich stand Turm+Springer gegen Turm auf dem Brett, das übten die beiden noch ein wenig, bevor sie nach 108 Zügen Frieden schlossen.
In der oberen Hälfte hielt Viernheim die Baden-Badener Schwergewichte mit Punkteteilungen auf Distanz, unten gelang das nicht. Michael Adams mit einem typischen Adams-Sieg über Sergey Fedorchuk sowie Rustam Kasimdzhanov mit einem eher taktisch geprägten Triumph über Fabien Libiszewski besiegelten das 5:3.
Aachener SV – SF Deizisau 1:7
Erwartungsgemäß ohne Topscorer Vincent Keymer (5,5/7) gingen die Schachfreunde Deizisau an die Bretter. Keymer ist fürs Finale des Carlsen-Turniers der weltbesten Junioren qualifiziert, das für ihn am Freitag beginnt. Da ihm dort ein Platz in der nächsten Carlsen-Tour der Weltelite winkt, hat der 16-Jährige entschieden, aufs große Bundesliga-Finale zu verzichten.
Nach dem 7:1 über die wackeren Aachener ist Deizisau nun die einzige Mannschaft, die Baden-Baden und Hockenheim theoretisch noch in die Meisterschaftssuppe spucken könnte. Allerdings würde dafür in der zweiten Runde am Donnerstag ein Sieg über die starken Viernheimer vonnöten sein.
Das Attribut „wacker“ verdienten sich am neunten Spieltag vor allem die beiden Aachener Spitzenleute Christian Seel und Thomas Koch. Gegen Andreas Heimann respektive Neu-Uruguayer Georg Meier gelang es ihnen, an den ersten beiden Brettern ein 1:1 für Aachen herauszuspielen. An den verbleibenden sechs Brettern ging der volle Punkt nach Deizisau.
FC Bayern München – Werder Bremen 5:3
Wer Bremens Coach Jonathan Carlstedt im Spielsaal vermisste, der hätte ihn auf Twitch sehen können. An der Seite des live kommentierenden Georgios „The Big Greek“ Souleidis verfolgte Carlstedt das Geschehen.
Und er bot den Zuschauern manche Einsicht an, die ihnen ohne die Insiderkenntnisse des Bremer Trainers verborgen geblieben wären. Zum Beispiel die, warum Bremens Youngster und Carlstedt-Schüler Collin Colbow (16) im 11. Zug …b3 spielte. „Vorbereitung“, verriet Carlstedt, der auch das lange Nachdenken seines Schützlings nach 12.Sc1 erklären konnte: Es sei ja viel eher mit 12.Sb4 zu rechnen gewesen.
Der große Grieche hatte seine Übertragung schon beendet, da musste Carlstedt mitansehen, wie das enge, umkämpfte Match für seine Bremer den Bach runterging. Das Damenendspiel mit Mehr- und Freibauern, das Werders Mannschaftskapitän Spartak Grigorian gegen Philip Lindgren verwaltete, war zwar gewonnen, aber längst nicht so einfach, wie es demjenigen erscheinen mag, der auf die Engine guckt und „+10“ sieht. Und das Turmendspiel, das Alexander Areshchenko gegen Niclas Huschenbeth verteidigte, war zwar haltbar, erforderte aber ein beinahe unmenschliches Maß an Präzision.
Schließlich ging hier der halbe, dort der ganze Punkt über Bord, und die frei von Meisterdruck oder Abstiegssorgen spielenden Bayern fuhren die ersten beiden Punkte des Saisonfinales ein.
Hamburger SK – SV Hockenheim 3:5
Ian Nepomniachtchi war auf Seiten der Hockenheimer nicht dabei, Anatoli Karpov auch nicht, beides keine Überraschung. Überraschend war, dass sich auf Hamburger Seite tatsächlich Rasmus Svane ans Brett begab. Der hatte noch am Vortag viele hundert Kilometer von Berlin entfernt in der spanischen Liga gespielt, wo ihm unter anderem dieser instruktive Moment gelungen war:
Ob ihm die Hamburger einen Jet gechartert hatten? Ob er geschlafen hatte? Sicher ist, Svane war da, und ihm saß sogleich ein Exweltmeister gegenüber. Mit Schwarz wird es für Ruslan Ponomariov in Ordnung gewesen sein, dass die Partie bald in ein totes Turmendspiel austrudelte, und auch der kurzfristig weit angereiste Svane konnte damit wahrscheinlich leben.
Zwei Bretter weiter saß ja Robert Kempinski, der nach 21.Txh6 einem Glanzsieg gegen Arik Braun entgegenzusegeln schien. Allerdings offenbarte sich nach 22…Tc5!, dass sie Angelegenheit doch nicht so klar ist. Bald stand ein ausgeglichenes Endspiel auf dem Brett, das mit einem ausgeglichenen Ergebnis endete: 0,5:0,5. Und so war eine weitere Weißpartie verpufft.
Dass die Hockenheimer weiter vom Meistertitel träumen können, ihrem erklärten Ziel, verdanken sie ihrer Weißstärke. Ivan Saric, Dennis Wagner und David Baramidze holten mit Weiß den vollen Punkt, da fiel es nicht mehr ins Gewicht, dass ganz vorne Ernesto Inarkiev gegen Nils Grandelius unterlag.
SG Turm Kiel - SG Speyer-Schwegenheim 5:3
Die erste Mannschaft der SG Turm Kiel hat ja nicht nur Europameister Anton Demchenko in ihren Reihen. In der Corona-Pause überraschten die Kieler mit einer Reihe prominenter Neuverpflichtungen, allen voran der kommende Mann des russischen Schachs Andrei Esipenko. Aber der kommt, anders als Demchenko, heuer in Berlin noch nicht zum Einsatz.
Und so blieb es dem kommenden Mann des dänischen Schachs vorbehalten, seine Kieler in Führung zu schießen. Beim Sieg von Jonas Buhl Bjerre bedurfte es allerdings der Mithilfe seines lettischen Gegenübers Toms Kantans, dessen Springer im 17. Zug ohne Ausweg auf d6 strandete – kein Oktopus, der im gegnerischen Lager gierig um sich greift, sondern ein lahmer Gaul, der bald verloren ging und kurz danach die Partie.
Ein anderer Youngster, Ashot Parvanyan, besorgte den zweiten Kieler Sieg. Die anderen Partien endeten unentschieden – 5:3.
SG Solingen – USV/TU Dresden 6,5:1,5
Was lange nach einem umkämpften Match aussah, mündete in die zweitklarste Angelegenheit des zweiten Spieltags. Vor allem die Solinger Mittelachse trumpfte gegen die ohne den am Vortag noch so glänzend siegreichen Liviu Dieter Nisipeanu angetretenen Sachsen auf. 5,5:0,5 siegte Solingen an den Brettern zwei bis sieben, dazu zwei Remisen. Vor allem das am achten Brett war aus Dresdner Sicht achtbar: Der gegen Jörg Wegerle nominell mehr als 300 Punkte schlechtere Philipp Richter bot aus der Position der Stärke den Friedensschluss an, den der Solinger annahm.
SV Mülheim Nord – SF Berlin 3:5
Nach ihrem Auftaktsieg im vorgeholten Match der 13. Runde gegen Dresden legten die Berliner Gastgeber einen weiteren Sieg hin. Und das, obwohl der polnische Berliner Hoffnungsträger Kacper Piorun noch nicht recht in die Spur gefunden hat. Auf stolze 2660 Elo ist Piorun unter anderem nach einen bärenstarken World Cup geklettert. Nun hat es ihn in der Bundesliga binnen zwei Tagen zwei Mal erwischt.
Sei’s drum die Berliner haben nun neue Ziele entdeckt. „Wir wollen noch in die obere Tabellenhälfte“, erklärte Vorstandsmitglied Rainer Polzin gegenüber der Presse. Mit dem Sieg über die etwa auf Augenhöhe befindlichen Mülheimer ist der Grundstein für dieses Unterfangen gelegt. Großmeister Marco Baldauf gelang gar der schnellste Sieg des neunten Spieltags:
Auch in Reihen der Berliner war es eine starke Mittelachse, die den Erfolg möglich machte: 4:0 siegte Berlin an den Brettern drei bis sechs, sodass den Mülheimer der Doppelsieg ihrer tschechischen Doppelspitze David Navara und Thai Dai Van Nguyen nur für die Ergebniskorrektur half.